Interaktionsarbeit: Arbeit an und mit Menschen

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Begriffsdefinition

Im Arbeitskontext kommt es zu vielfältigen Begegnungen bzw. Interaktionen mit anderen Personen. Dabei können zwei Fälle unterschieden werden (Abbildung 9.4.1).

Abb.9.4.1 Arten sozialer Interaktionen im Arbeitskontext in Abhängigkeit von der Interaktionspartnerin bzw. vom Interaktionspartner.

Abb. 9.4.1

Dieses Kapitel nimmt jene Gefährdungen in den Blick, die sich aus der sozialen Interaktion mit betriebsexternen Personen, d.h. mit Menschen, die nicht zum Betrieb gehören, ergeben. Interaktive Tätigkeiten finden sich vor allem im Dienstleistungssektor (DGB INDEX GUTE ARBEIT, 2018). Sie gewinnen aber auch außerhalb des Dienstleistungsbereichs in vielen Berufsfeldern an Bedeutung (z.B. im Handwerk oder im produzierenden Gewerbe).

Im Vergleich zur Arbeit mit Produkten und Objekten gehen interaktive Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen einher (BÖHLE et al., 2014). Interaktive Tätigkeiten zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass Dienstleistende und betriebsexterne Personengruppen oftmals zusammenarbeiten müssen, um die Dienstleistung zu erstellen. Damit geht je nach interaktiver Tätigkeit eine unterschiedlich stark ausgeprägte gegenseitige Abhängigkeit bei der Erfüllung des Arbeitsauftrages einher. Diese ist bspw. bei einer Behandlung in der Akutsprechstunde einer Allgemeinarztpraxis stärker als beim Kundenkontakt in einer Werkstatt bei der Reparatur eines Autos. Qualität und Erfolg der Interaktion liegen dabei nicht allein in der Hand der Erwerbstätigen. Anders als bei der Arbeit mit Objekten, wie z.B. der Bedienung einer Maschine in einer Tischlerei, müssen Beschäftigte bei interaktiven Tätigkeiten berücksichtigen und damit umgehen, dass ihr Gegenüber eigene Interessen, Meinungen, Gefühle und Erwartungen hat. Interaktionsarbeit ist daher auch immer ein sozialer Aushandlungsprozess, der zum Teil hohe psychische (kognitive und emotionale) Anforderungen an die Erwerbstätigen stellt. Weitere Begriffe, die in enger Verbindung zur Interaktionsarbeit stehen, sind Emotionsarbeit, Gefühlsarbeit oder interaktiv-dialogische Tätigkeiten.

Zu den definierenden Merkmalen von Interaktionsarbeit zählen1:

  1. Während der Ausführung eines Arbeitsauftrages kommt es zu einer Interaktion von mindestens zwei Personen, von denen mindestens eine im Rahmen ihrer Arbeitstätigkeit agiert, die andere indes nicht zum Betrieb gehört. 
  2. Im Zuge der Tätigkeitsausführung nimmt die erwerbstätige Person Einfluss auf physische oder psychische Zustände und/oder Prozesse ihres Gegenübers (z.B. Wahrnehmungen, Einstellungen, Intentionen, Gefühle). Um diese Einflussnahme zu erreichen, entwickeln Erwerbstätige bei der Interaktionsarbeit ein mentales Modell von der jeweiligen Situation ihres Gegenübers und passen dieses im Laufe der Zeit immer wieder an (was sind die Bedürfnisse, Wünsche, Ziele, Erwartungen des Gegenübers? – und was ist vor diesem Hintergrund zu tun, um das Ziel der Arbeitstätigkeit zu erreichen?).

Gut gestaltete Interaktionsarbeit a.) fördert die Aufgabenbewältigung, das Erleben von Sinn und Bedeutsamkeit der Tätigkeit und die Kompetenzentwicklung der Erwerbstätigen und b.) schützt Beschäftigte vor Gefährdungen, die sich aus dem Verhalten der Dienstleistungsempfangenden, aus den emotionalen Anforderungen, der Unplanbarkeit und der Intensität der Interaktionsarbeit ergeben können. Schlecht gestaltete Interaktionsarbeit hingegen erschwert die Erfüllung des Arbeitsauftrages, führt zu Überforderungserleben, d. h. Stress sowie damit verbundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

Relevanz des Faktors

Laut dem DGB Index "Gute Arbeit" (2018) arbeiteten etwa zwei Drittel der deutschen Erwerbstätigen – dies entsprach im Jahr 2018 ca. 30 Mio. Menschen – häufig mit Kundinnen und Kunden, Patientinnen und Patienten, mit Lernenden oder anderen betriebsexternen Personen.2 Die weite Verbreitung von Interaktionsarbeit unterstreicht deren Bedeutung für die Wertschöpfung am Wirtschaftsstandort Deutschland (DÖRFLINGER, 2022). Gleichzeitig belegen Studien die gesundheitlichen Risiken schlecht gestalteter Interaktionsarbeit für die Erwerbstätigen, beispielsweise für Burnout oder psychosomatische Beschwerden (z. B. BORRITZ et al., 2006, SÖDERFELDT et al., 1996). Nicht zuletzt kann schlecht gestaltete Interaktionsarbeit Einschnitte für jene betriebsexternen Personen zur Folge haben. Dies kann sich zum Beispiel in einer schlechten Pflege- und Bildungsqualität oder einer als schlecht empfundenen Servicequalität äußern.

Zu beachten ist: Interaktionsarbeit hat zwei Seiten. Sie ist einerseits sinnstiftendes Element der Tätigkeit, Quelle für die unmittelbare Wertschätzung der geleisteten Arbeit und damit eine bedeutsame arbeitsbedingte Ressource (zum Beispiel wenn Menschen beim Lernen unterstützt, Krankheiten gelindert oder familiäre Streitigkeiten geschlichtet werden). Andererseits kann Interaktionsarbeit mit besonderen Anforderungen verbunden sein. Gerade weil das Gegenüber ein (betriebsexterner) Mensch ist, sind der Verlauf, das Ausmaß und die Ausprägungen der sozialen Interaktion oft nur bedingt vorhersehbar. Diese Unvorhersehbarkeit macht Interaktionsarbeit oftmals wenig plan- und standardisierbar. Sie erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und stellt hohe emotionale und kognitive Anforderungen an Beschäftigte.

Gleichermaßen können sich aus der Arbeit mit betriebsexternen Personen Konflikte und Streitigkeiten ergeben, die mit möglichen Gefährdungen für Beschäftigte verbunden sind. So berichten Piesker et al. (2023) in ihrer Studie im öffentlichen Dienst, dass jede vierte befragte Person von gewalttätigen Übergriffen betroffen war. Der DGUV-Bericht zum Arbeitsunfallgeschehen zeigt, dass im Jahr 2022 8.683 meldepflichtige Unfälle auf Angriffe, Bedrohungen oder Gewalt durch betriebsfremde Personen zurückzuführen waren (DGUV, 2023). Die Befragung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (2023) verweist darauf, dass 61 % der Beschäftigten im öffentlichen oder privaten Sektor im Laufe ihres Arbeitslebens bereits Beleidigungen erlebt haben. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundesinnenministeriums berichtet, dass jede elfte erwerbstätige Person in den drei Jahren vor der Befragung mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz konfrontiert war. Dabei entfielen mehr als die Hälfte der Belästigungen auf die Gruppe der Kundinnen und Kunden, Klientinnen und Klienten sowie Patientinnen und Patienten (SCHRÖTTLE et al., 2019).

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1 Weiterführende Informationen zu den Merkmalen von Interaktionsarbeit finden Sie bei Moser et al. (2024) und Wehrmann (2023b).

2 Im Folgenden wird die die Bezeichnung der Kundinnen und Kunden als Synonym für weitere betriebsexterne Personengruppen wie Patientinnen und Patienten, Klientinnen und Klienten sowie Lernende verwendet.

Art der Gefährdungen und deren Wirkungen

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Ermittlung und Beurteilung der Risiken und Ableitung von Maßnahmen

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