Interaktionsarbeit: Arbeit an und mit Menschen

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Art der Gefährdungen und deren Wirkungen

Art der Gefährdung

Viele Beschäftigte entscheiden sich bewusst für einen Beruf im Dienstleistungsbereich, weil sie mit anderen Menschen arbeiten möchten. Auch wenn viele Dienstleistende die Interaktion mit betriebsexternen Personen als abwechslungsreich erleben und den zwischenmenschlichen Austausch schätzen, kann die zu leistende Interaktionsarbeit mit Gefährdungen verbunden sein (HOLZ et al., 2004). Empirische Studien verweisen auf ein breites Spektrum dieser Gefährdungsfaktoren. Sie umfassen in Anlehnung an Wehrmann (2023b)3:

  • Negative personenbezogene Kundenverhaltensweisen
  • Negative arbeitsbezogene Kundenverhaltensweisen
  • Traumatische Erfahrungen
  • Vortäuschen und Unterdrücken von Emotionen
  • Unplanbarkeit von Interaktionsarbeit
  • Hohe Interaktionsintensität

Negative personenbezogene Kundenverhaltensweisen beschreiben Gefährdungen, die sich unmittelbar gegen die Person der oder des Dienstleistenden richten. Hierzu zählen sowohl leichte (z.B. unhöfliches Verhalten) als auch schwere Formen negativen Kundenverhaltens (z.B. aggressives Verhalten). Unhöfliches Kundenverhalten umfasst unfreundliches, respektloses oder auch unverschämtes Verhalten von Kundinnen und Kunden. Dieses kann sich in negativen Verhaltensweisen wie herablassenden Äußerungen, aber auch aus der Unterlassung von Höflichkeitsformen zeigen (z.B. sich für die erbrachte Dienstleistung nicht bedanken). Unhöfliches Verhalten kommt im Vergleich zu aggressivem Verhalten von Kundinnen und Kunden häufiger im Arbeitsalltag von Dienstleistenden vor. Dabei erleben Beschäftigte die Vielzahl an Interaktionen mit unhöflichen Kundinnen und Kunden als erschöpfend (WEHRMANN, 2023b). Aggressives Kundenverhalten unterscheidet sich von unhöflichem Verhalten durch die bewusste Absicht, das Gegenüber psychisch oder physisch zu schädigen und kann in verbale, physische und sexuelle Aggressionen eingeteilt werden (FISK & NEVILLE, 2011). Formen verbaler Aggressionen können sich darin äußern, dass die betriebsexternen Personen die Beschäftigten anschreien, beschimpfen oder beleidigen. Die Bandbreite physischer Aggression reicht von körperlichen Angriffen wie Schlagen, Treten oder Bespucken bis hin zu schweren körperlichen Verletzungen. Formen sexualisierter Aggression lassen sich differenzieren in anzügliche Bemerkungen, frauenfeindliche Beschimpfungen, sexuelle Belästigungen oder sexualisierte körperliche Übergriffe.

Negative arbeitsbezogene Kundenverhaltensweisen. Während sich die zuvor beschriebenen negativen Verhaltensweisen gegen die Dienstleistenden in ihrer Person richten, beziehen sich negative arbeitsbezogene Verhaltensweisen auf den Arbeitsgegenstand der Dienstleistung (WEHRMANN, 2023b). Hierzu gehören bspw. ungerechtfertigte Kundenbeschwerden, eine mangelnde Kundenkooperation oder auch Abstimmungsprobleme zwischen Beschäftigten und betriebsexternen Personen. Weitergehend müssen Beschäftigte oftmals mit überzogenen Erwartungen von Kundinnen und Kunden umgehen.

Traumatische Erfahrungen. Die enge und im Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen (z.B. in der Pflege) oft intime Austauschbeziehung birgt das Risiko, mit extremen und emotional stark belastenden Ereignissen konfrontiert zu werden. Zu arbeitsbedingten, potenziell traumatisierenden Erlebnissen zählen die Konfrontation mit Tod oder schwerer Krankheit sowie schwere Übergriffe oder Unfallereignisse (GDA, 2022; CANTU & THOMAS, 2020).

Vortäuschen und Unterdrücken von Emotionen. Beschäftigte in nahezu allen personenbezogenen Dienstleistungstätigkeiten müssen erwünschte Emotionen (z.B. Freude) zeigen und unerwünschte Emotionen (zum Beispiel Ärger) unterdrücken, um den Vorgaben der Organisation gerecht zu werden (ZAPF & WINKLER, 2020). Der "Umgang" mit den eigenen Emotionen ist notwendiger Bestandteil der Dienstleistung (BÖHLE, et al. 2014b). Gefährdungen für die Gesundheit und das Befinden ergeben sich vor allem dann, wenn von den Beschäftigten verlangt wird, Gefühle zu zeigen, die nicht ihren tatsächlichen Empfindungen entsprechen.

Die Unplanbarkeit von Interaktionsarbeit stellt einen weiteren spezifischen Gefährdungsfaktor interaktiver Tätigkeiten dar, welcher sich trotz einer prospektiven Arbeitsgestaltung nicht gänzlich vermeiden lässt (BÖHLE & WEIHRICH, 2020). So ist für Beschäftigte oftmals nicht vorhersehbar, auf welche betriebsexternen Personen sie treffen und wie diese sich im nächsten Moment verhalten werden. Ebenso ist der Arbeitsalltag von Dienstleistenden von vielen unvorhergesehenen Ereignissen geprägt, die eine vorausschauende Planung erschweren (z.B. kundeninduzierte Unterbrechungen oder Belastungsspitzen; BÖHLE et al., 2014b).

Eine hohe Interaktionsintensität kann quantitativ oder qualitativ geprägt sein: "Die quantitative Interaktionsanforderung [beschreibt] die Menge, Geschwindigkeit und Zeit, in der die Interaktionsarbeit zu verrichten ist, […] die qualitative Interaktionsanforderung bezieht sich auf die Komplexität, Schwere und Qualität der zu leistenden Arbeit mit KundInnen" (WEHRMANN, 2023b, S. 197). Die erlebte Interaktionsintensität kann dabei je nach Berufsfeld stark variieren. Während z.B. Kassiererinnen und Kassierer von einer Vielzahl kurzer Interaktionen mit Kundinnen und Kunden berichten, erleben Fallmanagerinnen und Fallmanager die Komplexität der zu leistenden Interaktionsarbeit als belastend. Tabelle 9.4.1 gibt einen Überblick zu den erläuterten Gefährdungsfaktoren aus der Interaktionsarbeit.

Tab. 9.4.1: Gefährdungsfaktoren, die aus der Interaktionsarbeit resultieren (in Anlehnung an Wehrmann, 2023a)
GefährdungsfaktorBeschreibungBeispiele
Negative personenbezogene KundenverhaltensweisenNegative Verhaltensweisen betriebsexterner Personen, die sich gegen die Person des Dienstleistenden richten
  • Unhöfliches Kundenverhalten (z.B. unfreundlich, respektlos, ungerecht)
  • Aggressives Kundenverhalten (z.B. verbal, physisch, sexuell)
Negative arbeitsbezogene KundenverhaltensweisenNegative Kundenverhaltensweisen, die sich gegen den Arbeitsgegenstand richten
  • Überzogene Kundenerwartungen
  • Mangelnde Partizipation von Kundinnen und Kunden
  • Abstimmungsprobleme mit Kundinnen und Kunden
  • Ungerechtfertigte Kundenbeschwerden
  • Mangelnde Wertschätzung von Kundinnen und Kunden
Traumatische Erfahrungen, die aus der Interaktion mit Kundinnen und Kunden resultierenKonfrontation mit emotional stark berührenden Ereignissen
  • Umgang mit Tod, Krankheiten und Leiden, persönliches Schicksal
  • Unfallereignisse und Rettungseinsätze
  • Überbringung von schlechten Nachrichten
  • Ekelerregende und schambehaftete Situationen
Vortäuschen und Unterdrücken von EmotionenErfordernis, eigene Gefühle regulieren zu müssen
  • Erfordernis, eigene Gefühle unterdrücken zu müssen, um den Vorgaben der Organisation zu entsprechen
Unplanbarkeit von InteraktionsarbeitUmgang mit Unwägbarkeiten aus der Arbeit mit Menschen
  • Unvorhersehbarkeit des Kundenverhaltens
  • Mangelnde Planbarkeit des Arbeitsalltags
  • Unvorhergesehene Belastungsspitzen
Hohe InteraktionsintensitätHohe quantitative und qualitative Interaktionsanforderungen
  • Quantitativ: Menge, Geschwindigkeit und Zeit, in der Interaktionsarbeit zu leisten ist
  • Qualitativ: Komplexität, Schwere und Qualität der zu leistenden Interaktionsarbeit

Wirkungen

Zahlreiche Studien belegen negative Zusammenhänge interaktionsspezifischer Gefährdungen mit der Gesundheit und dem Wohlbefinden von Beschäftigten. So stellen Grandey et al. (2004) fest, dass die Häufigkeit verbaler Aggressionen von Kundinnen und Kunden mit der emotionalen Erschöpfung von Dienstleistenden zusammenhängt. Sliter et al. (2010) zeigen in ihrer Studie, dass unhöfliches Verhalten von Kundinnen und Kunden negativ mit der selbst wahrgenommenen Arbeitsleistung assoziiert ist. Dormann und Zapf (2004) zeigen, dass belastende Kundeninteraktion (CSS) positiv mit emotionaler Erschöpfung, Depersonalisierung sowie abnehmender Leistungsfähigkeit und negativ mit der Arbeitszufriedenheit von Dienstleistenden zusammenhängt. Sliter et al. (2012) berichten in ihrer Untersuchung im Bankensektor einen Zusammenhang zwischen der Interaktion mit unhöflichen Kundinnen und Kunden und den Arbeitsunfähigkeitstagen der Mitarbeitenden. Harris und Reynolds (2003) verweisen darauf, dass Übergriffe von Kundinnen und Kunden noch Jahre später bei Beschäftigten Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung hervorrufen können. Zudem zeigt Walsh (2011), dass unhöfliches Kundenverhalten mit einer erhöhten Kündigungsabsicht einhergeht.4

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3 Im Rahmen der GDA-Praxisbroschüre "Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungsbeurteilung" werden mögliche Gefährdungen aus der zu leistenden Interaktionsarbeit tiefergreifend konkretisiert (GDA, 2022). Die hier aufgeführten Gefährdungen decken sich weitgehend mit den Faktoren der GDA-Praxisbroschüre.

4 Das Teilkapitel 9.4.1 und 9.4.3 stellen eine Zusammenfassung der Ergebnisse der eingereichten Dissertation von Jonas Wehrmann dar. Die Promotionsordnung der Uni Kassel erlaubt es, dass Teile der Dissertation vorveröffentlicht werden.

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