Explosivstoffe und pyrotechnische Gegenstände
Ermittlung und Beurteilung
Sicherheitstechnische Kenngrößen
Im Folgenden sollen die für explosionsgefährliche Stoffe charakteristischen sicherheitstechnischen Kenngrößen dargelegt werden.
Prüfung der chemischen und thermischen Beständigkeit
Die Prüfung dient dem Nachweis der Verträglichkeit der Stoffbestandteile und der Beständigkeit bei höheren Temperaturen. Eine bewährte Prüfmethode ist eine Warmlagerung bei 75 °C über 7 Tage im offenen oder lose verschlossenen Prüfglas.
Zur Bestimmung der thermischen Stabilität bieten sich auch kalorimetrische Messverfahren (z. B. Differentialthermoanalyse (DSC), Thermogravimetrische Analyse (TGA)) an, aus denen die Temperatur der beginnenden thermischen Zersetzung ermittelbar ist.
Verhalten gegenüber thermischer Einwirkung
- Entzündungstemperatur, z. B. im Woodschen Metallbad
- Entzündlichkeit durch Cereisenfunken (erzeugt durch Feuerstein)
- Entzündlichkeit durch den Feuerstrahl einer Schwarzpulveranzündschnur
- Entzündlichkeit durch Gasstrahl
- Entzündlichkeit durch rotglühenden Stahlstab
- Entzündlichkeit und Verbrennungsdauer in einer rotglühenden Stahlschale
Stahlhülsenversuch
- Verhalten beim Erhitzen unter Einschluss. Diese Prüfmethode liefert quantitative Ergebnisse und eine Antwort auf die Frage, ob ein Stoff auch in kleiner Menge ohne vollständigen Einschluss explodieren kann.
- mechanische Sensibilität
- Schlagempfindlichkeit ermitteln mit dem BAM-Fallhammer
- Reibempfindlichkeit ermitteln mit dem BAM-Reibapparat
Sensibilität gegen Detonationsstoß in beidseitig geschlossenen Stahlrohren
Die Ermittlung der Fähigkeit eines Stoffs, eine eingeleitete Detonation weiterleiten zu können, erfolgt in 1"-, 2"- und 4"-Stahlrohren mit den möglichen Ergebnissen
- keine Weiterleitung,
- teilweise Weiterleitung oder
- Weiterleitung.
Sensibilität gegenüber elektrostatischer Aufladung
- Ermittlung der Fähigkeit eines Stoffs, sich bei elektrostatischer Aufladung umzusetzen.
- Ermittlung der Mindestzündenergie
- Für Treibladungspulver erfolgt die Prüfung nach DIN EN 13938-2.
Als weitere Kenndaten kommen infrage:
- Detonationsgeschwindigkeit
- O2-Bilanz
- Explosionswärme
- Normalgasvolumen
- Dichte
- Schmelztemperatur
- Kalorimetrische Kenndaten (Zersetzungstemperaturen, Zersetzungenergie)
Klassifizierung der Wirkungen
Die Wirkungen der Explosivstoffe werden in folgende vier Gefahrgruppen eingeteilt:
Gefahrgruppe 1.1
Die Explosivstoffe dieser Gruppe können in der Masse explodieren. Die Umgebung ist durch Druckwirkung (Stoßwellen), durch Flammen und durch Spreng- und Wurfstücke gefährdet; bei starkmanteligen Gegenständen ist eine zusätzliche Gefährdung durch Sprengstücke vorhanden
Gefahrgruppe 1.2
Die Explosivstoffe dieser Gruppe explodieren nicht in der Masse. Gegenstände explodieren bei einem Brand zunächst einzeln. Im Verlauf des Brands nimmt die Zahl der gleichzeitig explodierenden Gegenstände zu. Die Druckwirkung (Stoßwellen) der Explosionen ist auf die unmittelbare Umgebung beschränkt; an Bauwerken der Umgebung entstehen keine oder nur geringe Schäden. Die weitere Umgebung ist durch leichte Sprengstücke und durch Flugfeuer gefährdet. Fortgeschleuderte Gegenstände können beim Aufschlag explodieren und so Brände und Explosionen übertragen; bei starkmanteligen Gegenständen ist eine zusätzliche Gefährdung durch Sprengstücke vorhanden.
Gefahrgruppe 1.3
Die Explosivstoffe dieser Gruppe explodieren nicht in der Masse. Sie brennen sehr heftig und unter starker Wärmeentwicklung ab, der Brand breitet sich rasch aus. Die Umgebung ist hauptsächlich durch Flammen, Wärmestrahlung und Flugfeuer gefährdet. Gegenstände können vereinzelt explodieren, einzelne brennende Packstücke und Gegenstände können fortgeschleudert werden. Die Gefährdung der Umgebung durch Sprengstücke ist gering. Die Bauten in der Umgebung sind im Allgemeinen durch Druckwirkung (Stoßwellen) nicht gefährdet.
Gefahrgruppe 1.4
Die Explosivstoffe dieser Gruppe stellen keine bedeutsame Gefahr dar. Sie brennen ab, einzelne Gegenstände können auch explodieren. Die Auswirkungen sind weitgehend auf das Packstück beschränkt. Sprengstücke gefährlicher Größe und Flugweite entstehen nicht. Ein Brand ruft keine Explosion des gesamten Inhalts eines Packstücks hervor.
In anderen Rechtsbereichen, wie dem Gefahrguttransport- und dem Gefahrstoffrecht, gibt es zusätzlich die Transport- bzw. die Gefahrklassen 1.5 und 1.6, die besonders unempfindliche Stoffe und Gegenstände beschreiben. Die Wirkungen der Stoffe und Gegenstände sind jedoch vergleichbar mit denen der Gefahrgruppe 1.1 bzw. 1.2.
In den sicherheitstechnischen Regelwerken (z. B. im Sprengstoffrecht, berufsgenossenschaftliche Vorschriften), die im Wesentlichen wirkungsbasiert sind, werden deshalb nur Schutzmaßnahmen (betrifft insbesondere den tertiären und quartären Explosionsschutz) für die Gefahrgruppen 1.1 bis 1.4 abgeleitet. Das heißt, im Herstellungsprozess werden lediglich die oben angeführten Gefahrgruppen angewendet. Die sicherheitstechnische Bewertung bei der Herstellung erfolgt in Abhängigkeit der vier Gefahrgruppen, wobei hinsichtlich des primären und sekundären Explosionsschutzes die verringerte Empfindlichkeit und Auslösewahrscheinlichkeit von Stoffen und Gegenständen der Transport- bzw. Gefahrklasse 1.5 und 1.6 berücksichtigt werden kann.
Aus der Gefahrgruppe ergeben sich Sicherheitsanforderungen insbesondere hinsichtlich der Sicherheitsabstände.
Da die Wirkungen nicht nur stoffabhängig sind, sondern auch von der Art und Intensität der Beanspruchungen sowie von der Masse, den Einschlussbedingungen usw. beeinflusst werden, wird unterschieden zwischen
- Lagergruppen nach 2. Verordnung zum Sprengstoffgesetz (2. SprengV),
- Unterklassen der Klasse 1 nach UN-Empfehlungen zum Transport gefährlicher Güter und
- Gefahrgruppen.
Lagergruppen und Unterklassen der Klasse 1
Die Zuordnung der Explosivstoffe zu Lagergruppen oder Unterklassen der Klasse 1 erfolgt nach vorgegebenen Prüfmethoden und Kriterien. Die Prüfungen sollen die Belastungen der Explosivstoffe in der Versandverpackung bei der Lagerung bzw. beim Transport simulieren. Die Lagergruppenzuordnungen und Transportklassifizierungen sind in Deutschland von der BAM vorzunehmen.
Gefahrgruppenbestimmung
Für die Gefahrgruppenbestimmung sind dagegen keine standardisierten Prüfungen vorgegeben. Die Gefahrgruppenbestimmung ist vom Unternehmer vorzunehmen. Maßgebend sind die Wirkungen der Explosivstoffe bei der Auslösung durch die möglichen Beanspruchungen im jeweiligen Arbeitsgang.
Zur Bestimmung sind praxisnahe Versuche durchzuführen, die den tatsächlichen Gegebenheiten und Beanspruchungen der Explosivstoffe am Arbeitsplatz entsprechen. Insbesondere sind z. B. Masse, Einschluss, Verdämmung, spezifische Verfahrensparameter, zu berücksichtigen. Da die Wirkung und die Auslösewahrscheinlichkeit u. a. von den unterschiedlichen betrieblichen und arbeitsplatzbezogenen Gegebenheiten abhängig sind, können die bei der Gefahrgruppenbestimmung anzuwendenden Prüfmethoden hier nur beispielhaft angeführt werden.
Die für die Explosivstoffe in Versandverpackungen ermittelten oder festgelegten Lagergruppen nach der Zweiten Verordnung zum Sprengstoffgesetz, Unterklassen nach den Verordnungen zum Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter oder den Gefahrklassen nach dem Versorgungsartikelkatalog der Bundeswehr können als Gefahrgruppen übernommen werden, wenn denkbare ungewollte Reaktionen aufgrund möglicher Beanspruchungen während der Arbeitsgänge nicht anders sind als die für die Ermittlung der genannten Gruppen / Unterklassen angenommenen.
Besonderheiten bei pyrotechnischen Sätzen
Abbrandverhalten prüfen
Bei der Zuordnung zu den Gefahrgruppen für pyrotechnische Sätze sollte zur Ermittlung der Wirkungen das Abbrandverhalten von Sätzen bei unterschiedlichen Einschlussbedingungen geprüft werden. Dabei kann der Abbrand in loser Schüttung, in lose verschlossenen Pappbehältern oder auch in verschlossenen Stahlrohren zur Bewertung herangezogen werden. Hierbei ist es sinnvoll, diese Untersuchungen mit unterschiedlichen Satzmassen bis hin zur tatsächlichen am Arbeitsplatz vorgesehenen Satzmasse durchzuführen. Bei den Abbrandversuchen in Pappbehältern sollte die Anzündung vorrangig am Boden gewählt werden. Ist eine Auslösung durch Detonationsstoß auszuschließen, sind z. B. Satzauslöser, Wärmekapseln, Stoppinen als geeignete Anzündmittel anzusehen. Das Verhalten von Sätzen gegenüber Detonationsstoß wird üblicherweise in 1"- bzw. 2"-Stahlrohren geprüft. Über die Fähigkeit eines Satzes, bereits in kleiner Menge unter Einschluss explodieren zu können, gibt der Stahlhülsentest Aufschluss.
Bestimmung der Auslösewahrscheinlichkeit
Zur Bestimmung von Auslösewahrscheinlichkeiten sollten vorrangig die Werte der Schlagempfindlichkeit (BAM-Fallhammer) und der Reibempfindlichkeit (BAM-Reibapparat) herangezogen werden. Zusätzlich wird empfohlen, Zersetzungstemperaturen (z. B. im Woodschen Metallbad, mittels kalorimetrischer Messmethoden (z. B. DTA, DSC) und die Auslösbarkeit durch Funken, Flammen (Schwarzpulveranzündschnur, Bunsenbrenner) beziehungsweise glühende Metallgegenstände (Stahlstab, Stahlschale) zu ermitteln.
Beanspruchung am Arbeitsplatz prüfen
Insbesondere dann, wenn die oben benannten Prüfungen die tatsächlichen Verhältnisse des Arbeitsplatzes, z. B. hinsichtlich Einschlussbedingungen, Maßstabseffekte, nur unzureichend widerspiegeln, ist eine Untersuchung in der vorgesehenen Apparatur/Vorrichtung unerlässlich.
Untersuchungen zur Bestimmung der Wirkung von pyrotechnischen Halberzeugnissen und Gegenständen sind ebenfalls arbeitsplatzbezogen durchzuführen. Diese können sein:
- Abbrennen in modifizierten Presswerkzeugen (Simulation der Auslösung beim Pressvorgang)
- Abbrand von Halberzeugnissen in offenen und geschlossenen Stellagen
- Abbrand von Halberzeugnissen oder Gegenständen mit offenen Anzündstellen in Bevorratungsmagazinen
Da sich in der Regel Sätze, Halberzeugnisse oder Gegenstände an mehreren Stellen im Arbeitsgang befinden oder bereitgehalten werden, sollten auch Übertragungsversuche durchgeführt werden.
Änderung der Gefahrgruppe beachten
Während der Herstellung pyrotechnischer Sätze und Gegenstände ändern sich häufig die Gefahrgruppen eines Satzes, Halberzeugnisses oder von Gegenständen in Abhängigkeit von ihrem jeweiligen Zustand. Die Gefahrgruppe wird durch verschiedene Parameter, z. B. Masse, Durchmischungsgrad, Feuchtigkeitsgehalt, Verdichtungsgrad und Konfektionierungszustand, bestimmt. Bei der Herstellung von Sätzen oder Baugruppen spielt außerdem die jeweilige Verdämmung (auch Eigenverdämmung) des Satzes eine entscheidende Rolle.
Die ermittelten Gefahrgruppen sind in der Regel nicht identisch mit der Klassifizierung nach den Gefahrguttransportvorschriften bzw. den Lagergruppen nach der 2. Verordnung zum Sprengstoffgesetz (2. SprengV), da diese nach anderen Prüfkriterien festgelegt werden und nicht die Gegebenheiten im jeweiligen Arbeitsgang berücksichtigen.