Prozessschritte der Gefährdungsbeurteilung
Schritt 2: Gefährdungen ermitteln
Ziel der Ermittlung ist die systematische Identifizierung von möglichen Gefährdungen, deren Quellen und gefahrbringenden Bedingungen.
Gefährdungen können sich gemäß § 5 Absatz 3 ArbSchG insbesondere ergeben durch
- die Gestaltung und die Einrichtung der Arbeitsstätte,
- physikalische, chemische und biologische Einwirkungen,
- die Gestaltung, die Auswahl, den Einsatz von Arbeitsmitteln und Arbeitsstoffen sowie den Umgang damit,
- die Gestaltung der Arbeits- und Fertigungsverfahren, der Arbeitsabläufe und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken,
- unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten,
- psychischen Belastungen bei der Arbeit.
Die Gefährdungsbeurteilung ist tätigkeitsbezogen durchzuführen, wobei die genannten Bereiche im Zusammenhang zu betrachten sind. So ist z. B. in § 3 Absatz 2 BetrSichV festgelegt, dass bei der Gefährdungsbeurteilung die sicherheitsrelevanten einschließlich der ergonomischen Zusammenhänge zwischen Arbeitsplatz, Arbeitsmittel, Arbeitsverfahren, Arbeitsorganisation, Arbeitsablauf, Arbeitszeit und Arbeitsaufgabe sowie die physischen und psychischen Belastungen der Beschäftigten, die bei der Verwendung von Arbeitsmitteln auftreten, zu berücksichtigen sind.
Die genannten Gefährdungen gemäß § 5 Absatz 3 ArbSchG lassen sich in Gefährdungsfaktoren (siehe Abschnitt 1.3) abbilden.
Teil 2 dieses Handbuches enthält umfangreiche Informationen zu den einzelnen Gefährdungsfaktoren.
Neben Gefährdungen der Betriebsangehörigen sind ggf. besondere Gefährdungen weiterer Personengruppen (vgl. Kapitel 1.2) zu berücksichtigen. Bei zeitweilig im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern aus Fremdbetrieben besteht die Pflicht einer Abstimmung mit dem für diese Arbeitnehmer verantwortlichen Arbeitgeber (§ 8 ArbSchG). Bei der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern sind die Anforderungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) zu beachten.
Für besonders schutzbedürftige Personen, wie Jugendliche, Schwangere und stillende Mütter, Beschäftigte mit Behinderung, Rehabilitanden, ist zu prüfen, ob die in speziellen Vorschriften festgelegten Beschäftigungsbeschränkungen eingehalten sind (Teil 2 Gefährdungsfaktoren).
Bei der Gefährdungsbeurteilung sind neben dem Hauptprozess auch die vor- und nachgelagerten Arbeitsprozesse und -tätigkeiten zu berücksichtigen. Neben dem Normalbetrieb ist zu prüfen, welche Gefährdungen z. B. beim Montieren, Einrichten und Erproben von Arbeitsmitteln, bei Transportarbeiten, Instandhaltungsarbeiten oder bei der Störungsbeseitigung auftreten können.
Zur Ermittlung der Gefährdungen können verschiedene Methoden und Verfahren angewendet werden, z. B. Betriebsbegehungen, sicherheitstechnische Überprüfungen von Arbeitsmitteln, spezielle Risikoanalysen oder Messungen. Welche Methoden und Verfahren für den zu beurteilenden Arbeitsbereich gewählt werden, wird bestimmt durch die Art der Gefährdung, die angewendeten Arbeitsverfahren und Arbeitsmittel, die vorhandenen Informationen und Erfahrungen sowie die personellen und organisatorischen Voraussetzungen im Betrieb. Weitere Informationen zu gefährdungsfaktorenbezogenen Methoden und Verfahren enthält Teil 2 des Handbuches.
Oft ist es zweckmäßig, zuerst bereichsübergreifende Anforderungen an die Arbeitsstätte zu überprüfen, z. B. Einrichten und Betreiben der Arbeitsstätte, Arbeitsorganisation, Verkehrswege, Fluchtwege, Brandschutz, Sanitärräume, Hygienemaßnahmen, Erste Hilfe, Allgemeinbeleuchtung, Lüftung. Danach können schrittweise, dem Arbeitsablauf folgend, die Arbeitsplätze und Tätigkeiten unter Beachtung aller verwendeten Arbeitsmittel, Arbeitsstoffe und der Arbeitsumgebungsbedingungen beurteilt werden.
In manchen Fällen kann es erforderlich sein, Gruppen von Arbeitsmitteln wie Maschinen oder Anlagen separat zu beurteilen, z. B. im Zusammenhang mit der Festlegung erforderlicher wiederkehrender Prüfungen.
Ebenso können einzelne Gefährdungsfaktoren, wie z. B. elektrische Gefährdungen, Gefahrstoffe, Lärm, einzeln beurteilt werden. Das ist dann sinnvoll, wenn hohe Gefährdungen vorliegen, die tiefergehende Untersuchungen oder spezifische zusätzliche Schutzmaßnahmen erfordern, ggf. unter Einbeziehung von Spezialisten.
Für die Ermittlung der auftretenden Gefährdungen an ortsfesten Arbeitsplätzen eignet sich am besten ein gemeinsamer Betriebsrundgang aller an der Gefährdungsbeurteilung mitwirkenden Personen. Dabei werden schrittweise alle Arbeitsplätze besichtigt, die Arbeitsabläufe beobachtet und die Beschäftigten an ihren Arbeitsplätzen befragt.
Für nicht ortsfeste Tätigkeiten oder Tätigkeiten, deren Arbeitsabläufe häufig wechseln, ist eine berufsgruppenbezogene Beurteilung zu empfehlen. Hierbei werden zunächst die für die jeweilige Berufsgruppe typischen Tätigkeiten hinsichtlich der typischerweise zu erwartenden Arbeitsbedingungen beurteilt. Diese sind an die jeweiligen konkreten Arbeitsbedingungen anzupassen, z. B. bezogen auf Gefährdungen, die sich aus besonderen Einsatzbedingungen, z. B. auf Baustellen, oder bei Beschäftigung besonders schutzbedürftiger Personengruppen, z. B. Jugendlichen, ergeben.
Die Einbeziehung der Beschäftigten kann sowohl über gemeinsame Arbeitsplatzbesichtigungen oder auch über Mitarbeiterbefragungen, z. B. im Rahmen von Unterweisungen oder mittels anonymisierter Fragebögen, erfolgen. Eine weitere Methode zur Einbeziehung der Beschäftigten sind Gruppengespräche. Unter der Anleitung eines Moderators werden Gefährdungen und Belastungen am Arbeitsplatz und Lösungsmöglichkeiten zu ihrem Abbau diskutiert. Wie eine Gruppendiskussion konkret durchgeführt werden kann, veranschaulicht z. B. die Handlungshilfe „Moderierte Gefährdungsbeurteilung“ des Thematischen Initiativkreises Gesund Pflegen der Initiative Neue Qualität der Arbeit [6].
Zur Planung und Durchführung von Arbeitsschutzmaßnahmen auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung hat der Arbeitgeber für eine geeignete Arbeitsschutzorganisation zu sorgen (§ 3 Absatz 2 ArbSchG). Eine gute Arbeitsschutzorganisation unterstützt die Wirksamkeit der Maßnahmen des Arbeitsschutzes ebenso wie die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung selbst. Deshalb ist das Prüfen der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation ein essenzieller Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung. Weitere Informationen dazu enthält Abschnitt 1.7 Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes.
Ausführliche Informationen zu den einzelnen Gefährdungsfaktoren enthält Teil 2 des Handbuches. Teil 3 des Handbuches enthält qualitätsgesicherte branchenbezogene, arbeitsplatz- und tätigkeitsbezogene Handlungshilfen zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen.