Risikokonzept für die Gefährdungsbeurteilung bei körperlichen Belastungen
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Das Kapitel 8 "Gefährdungen durch physische Belastung" bezieht sich ausschließlich auf die körperliche Belastung in der Arbeitswelt. Es wird davon ausgegangen, dass für definierte körperliche Belastungsarten mit zunehmender Dauer und Intensität der Belastung die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von körperlichen Überbeanspruchungen und möglichen gesundheitlichen Folgen kontinuierlich steigt.
Das Risiko für das Auftreten unerwünschter Gesundheitseffekte durch die oben genannten sechs Arten körperlicher Belastung bei der Arbeit wird nicht durch ein einzelnes Merkmal (z. B. das Lastgewicht beim Heben und Tragen) bestimmt. Die Beanspruchung des Muskel-Skelett-Systems und des Herz-Kreislauf-Systems ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Zeitdauer/Häufigkeit, Aktionskraft, Körperhaltungen und den Bedingungen, unter denen die körperlichen Anforderungen ausgeführt werden. Die Faktoren sind in der Regel in ihrer Kombination zu beachten. Für keine der sechs Belastungsarten existieren daher einfach messbare und rechtsverbindliche Grenzwerte für maximale akzeptable oder tolerable Belastungshöhen für alle Beschäftigten pro Arbeitstag. Es kann jedoch auf gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zurückgegriffen werden, die z. B. in den Unterkapiteln "Vorschriften, Regelwerke, Literatur" aufgeführt sind.
Als ein wesentlicher Maßstab zur Beurteilung von Beanspruchungen durch die körperliche Belastung bei Arbeitsprozessen wird ein Risikokonzept verwendet, das in der Arbeitsmedizinischen Regel AMR 13.2 definiert ist. Entsprechend der Verordnung zur Arbeitsmedizinischen Vorsorge ArbMedVV Anhang in Teil 3(2) 4 ist arbeitsmedizinische Vorsorge anzubieten, wenn für eine Reihe von körperlichen Belastungen (Heben und Tragen, Ziehen und Schieben, repetitive manuelle Arbeit, erzwungene Körperhaltungen) eine wesentlich erhöhte Belastung des Muskel-Skelett-Systems am Arbeitsplatz nachweisbar ist.
Die AMR 13.2 definiert über das Risikokonzept den Begriff der wesentlich erhöhten (und höherer) Belastung. Es werden vier Risikobereiche anhand der Belastungshöhe unterschieden. Jeder der vier Risikobereiche wird in einem Ampelschema (grün-gelb-rot) eingestuft und ist charakterisiert durch die Wahrscheinlichkeit der körperlichen Überbeanspruchung, die Möglichkeit des Auftretens gesundheitlicher Folgen und die notwendigen präventiven Maßnahmen (Tab. 8-2). Die Belastungshöhe wird in die vier Risikobereiche "gering", "mäßig erhöht", "wesentlich erhöht" und "hoch" unterteilt. "Nicht exponiert" ist im Risikokonzept nicht explizit enthalten, ist aber von der Belastungsstufe "gering" zu differenzieren. In diesem Fall liegt die jeweilige Belastungsart am Arbeitsplatz nicht vor. Bei "wesentlich erhöhter" Belastung sind körperliche Überbeanspruchung sowie Beschwerden (Schmerzen) ggf. mit Funktionsstörungen (reversibel ohne Strukturschäden) möglich. Bei "hoher" Belastung ist eine körperliche Überbeanspruchung wahrscheinlich, stärker ausgeprägte Beschwerden und/oder Funktionsstörungen sowie Strukturschäden mit Krankheitswert sind möglich.
Tab. 8-2 Risikokonzept für die Beurteilung körperlicher Überbeanspruchung nach AMR 13.2Risiko | Risiko-bereich | Belastungs-höhe | Überbeanspruchung? | Wahrscheinlichkeit gesundheitlicher Folgen | Maßnahmen |
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| 1 | gering | unwahrscheinlich | nicht zu erwarten | |
2 | mäßig erhöht | bei einigen Personen möglich | Ermüdung, geringgradige Anpassungsbeschwerden, Kompensation in Freizeit | Maßnahmen zur Gestaltung und sonstige Präventionsmaßnahmen sind sinnvoll. |
3 | wesentlich erhöht | möglich | Beschwerden (Schmerzen) ggf. mit Funktionsstörungen, meistens reversibel, ohne morphologische Manifestation möglich | Maßnahmen zur Gestaltung und sonstige Präventionsmaßnahmen sind zu prüfen. |
4 | hoch | wahrscheinlich | Stärker ausgeprägte Beschwerden und/oder Funktionsstörungen, Strukturschäden mit Krankheitswert möglich | Maßnahmen zur Gestaltung sind erforderlich. Sonstige Präventionsmaßnahmen sind zu prüfen. |
Die im Rahmen des BAuA/DGUV-Projektes "Mehrstufige Gefährdungsanalyse physischer Belastungen am Arbeitsplatz - MEGAPHYS" entwickelten Methoden der Gefährdungsbeurteilung körperlicher Belastung orientieren sich in ihrer Bewertung direkt an dem oben genannten vierstufigen Risikokonzept (BAuA, 2019 a; BAuA, 2019 b). Wird im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung eine wesentlich erhöhte körperliche Belastung oder eine höhere festgestellt (Risikobereich 3 oder 4), sind unabhängig von der Auslösung von Vorsorgeangeboten vorrangig arbeitsplatzbezogene und allgemeine Präventionsmaßnahmen der Arbeitsplatzgestaltung und der Arbeitsorganisation zu prüfen und einzuleiten. Darauf wird in der AMR 13.2 Abschnitt 5 D explizit hingewiesen. Ergonomisch gut gestaltete Arbeit begrenzt die körperliche Belastung und die Anforderungen auf ein Maß, das Überbeanspruchungen und damit verbundene kurz- und langfristige gesundheitliche Auswirkungen vermeidet.