Erfahrungen interdisziplinärer Zusammenarbeit in der KI-Forschung

Dem Thema KI wird man nicht gerecht, wenn man es nur aus der Perspektive einer einzelnen wissenschaftlichen Disziplin betrachtet. In der KI-Nachwuchsforschungsgruppe sammeln wir deshalb wertvolle Erfahrungen in der interdisziplinären Zusammenarbeit, die wir hier teilen möchten.
Ein Beitrag von Marina Klostermann, Arn Baudzus und Martin Brenzke

Zwei Hände halten passende Puzzleteile ins Gegenlicht, man erkennt nur Umrisse. Im Hintergrund sind unscharf blauer Himmel und grüne Bäume zu erkennen.
© vardan papikyan | Unsplash

Marina Klostermann
Marina Klostermann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin "Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt", BAuA © Uwe Völkner / FOX
Arn Baudzus
Arn Baudzus, Wissenschaftlicher Mitarbeiter "Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt", BAuA © Uwe Völkner / FOX
Martin Brenzke
Dr. Martin Brenzke, Wissenschaftlicher Mitarbeiter "Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt", BAuA © Iris Friedrich Photography

Interdisziplinäre Teamarbeit wird immer wichtiger – insbesondere, wenn es um komplexe Herausforderungen wie die sichere und menschengerechte Gestaltung von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Arbeitswelt geht. Diese Erfahrung machen auch wir in der KI-Nachwuchsforschungsgruppe der BAuA aktuell im Rahmen des Promotionsprojekts von Marina Klostermann. Im Projekt geht es um das Simulieren einer KI, die personalisierte Empfehlungen für das Lernen am Arbeitsplatz geben soll. Ziel ist es, herauszufinden, welche Eigenschaften des Systems die Wahrnehmung der Nutzenden beeinflussen, z. B. in Bezug auf das Empfinden von Kontrolle oder die Wahrung von Privatsphäre.

Bereits auf verschiedenen Kongressen, die wir in diesem Jahr besucht haben, wurde die Notwendigkeit der Interdisziplinarität deutlich – so auch auf dem diesjährigen 53. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie im September. In der Podiumsdiskussion wurde die interdisziplinäre Teamarbeit in der digitalen Ära besonders unter die Lupe genommen, und es wurde versucht, Antworten auf Fragen wie "Welche möglichen Herausforderungen ergeben sich in der Teamarbeit mit anderen Disziplinen?" zu finden.

Verschiedene Perspektiven – Problem und Bereicherung zugleich

Obwohl die wissenschaftliche Vorgehensweise mit ihrem Mechanismus aus theoretischen Überlegungen, deren Testung und ihrem methodischen Werkzeug zur Überprüfung von Fragestellungen für alle Disziplinen grundlegend ist, gibt es doch Unterschiede. Dazu gehören die unterschiedlichen Schwerpunkte verschiedener Disziplinen: Während z. B. in der Psychologie der Mensch und sein Verhalten im Zentrum stehen, nehmen die technischen Disziplinen eher die Technik und die mit ihr verbundenen Phänomene in den Blick. Das kann zu unterschiedlichen Verständnissen führen. Beispielsweise kann mit dem Begriff "Operator" je nach Disziplin entweder ein Mensch, der ein System bedient, oder eine mathematische Vorschrift gemeint sein. Das unterschiedliche Verständnis eines Begriffs kann zu Beginn einer interdisziplinären Teamarbeit zu Missverständnissen führen. Wenn diese Missverständnisse jedoch frühzeitig erkannt werden und die Beteiligten darüber sprechen, kann interdisziplinäre Teamarbeit eine große Chance bieten, von der jeweils anderen Disziplin zu lernen.

Und wie war das nun in der interdisziplinären Zusammenarbeit im Promotionsprojekt?

Im Rahmen unserer interdisziplinären Teamarbeit im Promotionsprojekt haben wir innerhalb von sechs Wochen von Grund auf eine simulierte KI in Form eines webbasierten Lernempfehlungssystems für das Lernen am Arbeitsplatz geschaffen (s. Abb. 1). Dieses Lernempfehlungssystem konnten wir zum Erforschen der Wahrnehmung von Nutzenden in Bezug auf das Empfinden von Kontrolle über das System einsetzen. Dass die Umsetzung und Implementierung der simulierten KI innerhalb dieser kurzen Zeit möglich waren, lag vor allem daran, dass jedes einzelne Teammitglied einen besonderen Beitrag für das gemeinsame Arbeitsziel der simulierten KI geleistet hat: vom innovativen Forschungsdesign über die lösungsorientierte Umsetzung in ein webbasiertes System, die gewissenhafte technische Ausführung mit Blick fürs Detail bis hin zum "Rücken freihalten" und der Bewältigung der organisatorischen Aufgaben.

Spezifisch legte Marina Klostermann (Expertise aus der Wirtschaftspsychologie) das Forschungsdesign und die Ausgestaltung spezifischer Systemeigenschaften (z.B. die Kontrolle über die eigenen Daten) fest, um wichtige Erkenntnisse für die Praxis ableiten zu können. Spezifisch geht es darum, wie diese spezifischen Eigenschaften des Lernempfehlungssystems unter anderem auf die Nutzungsintention und das Wohlbefinden in der Zusammenarbeit mit dem webbasierten Lernempfehlungssystem wirken.

Arn Baudzus (Expertise aus der Physik) hatte die Idee zur Umsetzung und entwarf das grundlegende Framework des Lernempfehlungssystems. Martin Brenzke (Expertise aus der Physik) integrierte die Feinheiten und Details und implementierte die für die Studie notwendigen Funktionalitäten des webbasierten Lernempfehlungssystems.

Screenshot mit Code-Elementen sowie diversen Fenstern mit Bildern und Text
Abb. 1: Ein Blick hinter die Kulissen: Aufbau eines webbasierten Lernempfehlungssystems © BAuA

Interdisziplinär, iterativ, agil

Die zeitlich kompakte Projektzusammenarbeit von sechs Wochen und das dynamische Erstellen des Lernempfehlungssystems hatte durchaus gewisse Parallelen zur agilen Teamarbeit. Darunter versteht man Methoden in der Softwareentwicklung, die ein iteratives Design sowie kontinuierliches Testen und Prototyping beinhalten, welches aus unterschiedlichen Blickwinkeln (und Disziplinen) analysiert wird. In einem typischen Projektablauf (auch "Sprint" genannt) wird zunächst ein Plan erarbeitet, Rollen und Verantwortlichkeiten zugeteilt, regelmäßige Meetings durchgeführt, der Arbeitsprozess wird reflektiert und Feedback für das Produkt eingearbeitet (Ardito et al., 2016). Die Theorie dieser Methode ist jedoch in der Praxis nicht immer leicht umzusetzen. So kann es in agilen und interdisziplinären Teams durch die üblicherweise kurzen Laufzeiten vorkommen, dass nicht alle Expertenmeinungen des Teams gehört und einbezogen werden, sodass nur eine beschränkte Anzahl Perspektiven eingeholt wird. Darüber hinaus wurde in Interviews von Lárusdóttir et al. (2016) mit IT-Expertinnen und -Experten zu agilen Methoden herausgefunden, dass Verantwortlichkeiten nicht immer klar definiert sind und es häufig an Dokumentation im Projektprozess mangelt. Die Erfahrungen von Lárusdóttir et al. (2016) zur interdisziplinären Projektarbeit machen deutlich, dass neben dem Aufbau eines gemeinsamen Verständnisses über Projektziele zum Start des Projekts auch regelmäßige Updates während des Projektverlaufs notwendig sind. Diese Updates sind wichtig, um das gemeinsame Verständnis unter dem interdisziplinären Team aktuell zu halten.

In der gemeinsamen interdisziplinären Teamarbeit für das Promotionsprojekt finden sich einige parallelen aus der bisherigen Forschung und bekräftigen diese. In unserer agilen Teamarbeit kam es z.B. zu einem hohen gleichzeitigen Informationsfluss bei den Teammitgliedern, weshalb die Informationsweitergabe zu jedem Zeitpunkt relevant war, damit wichtige Informationen nicht vergessen werden und potenzielle Missverständnisse vermieden werden. Darüber hinaus zeigte unsere Zusammenarbeit in dem interdisziplinären Team, dass es sich lohnt, Herausforderungen der einzelnen Teammitglieder frühzeitig zu besprechen, damit diesen entgegengewirkt werden kann. Aus unseren Erfahrungen leiten wir wichtige Erkenntnisse ab, wie ein gemeinsames interdisziplinäres Verständnis aufgebaut und erhalten werden kann. Den Aufbau und Erhalt eines gemeinsamen Verständnisses und unsere Empfehlung für eine erfolgreiche interdisziplinäre Teamarbeit haben wir indrei Projektprozessschritte (Projektstart, Projektverlauf, Projektende) aufgeteilt (s. Abb. 2).

Schaubild "Gemeinsames interdisziplinäres Verständnis"
Abb. 2: Aufbau und Erhalt eines gemeinsamen Verständnisses in einer interdisziplinären Projektarbeit © BAuA

Für den Projektstart ist zunächst wichtig, dass ein Kick-Off-Treffen geplant wird, in welchem die Projektinitiatorin oder der Projektinitiator das Ziel, die Relevanz des Projektes und die der einzelnen Disziplinen bespricht. Um einer möglichen Ungleichverteilung vorzubeugen, sollten zu Beginn auch die Aufgaben und Verantwortlichkeiten im Team abgegrenzt werden. Für den Aufbau eines gemeinsamen Verständnisses im Projektverlauf darüber, wer gerade an welchen Aufgaben arbeitet, sollte die Umsetzung von einzelnen Aufgaben im Projekt für alle Teammitglieder sichtbar an einem gemeinsam geteilten Ort der Wahl dokumentiert werden (z.B. über Tools wie ein digitales Whiteboard). Darüber hinaus sollte Zeit für regelmäßigen Austausch (z. B. in einem wöchentlichen Rhythmus) in der Projektplanung eingeräumt und bedacht werden, um mögliche Ungleichgewichte zu kommunizieren und gemeinsam Lösungen zu finden. Abschließend sollte nach Erfüllung des Projektes eine Reflexion stattfinden, um zu besprechen, was in der Teamarbeit gut lief, welche Herausforderungen überwunden wurden und welche Lehren sich aus der gemeinsamen Teamarbeit ergeben, die bei einer zukünftigen interdisziplinären Teamarbeit angewendet werden könnten.

Unser Fazit

Die Projektumsetzung für das Promotionsvorhaben eines simulierten KI-basierten Lernempfehlungssystems glich einem Sprint. Es ist sinnvoll, Zeit und Energie darin zu investieren, zwischendurch innezuhalten, um das Expertenwissen aus den unterschiedlichen Disziplinen zu verstehen und einfließen zu lassen. So können mögliche Herausforderungen minimiert und eine Chance geboten werden, von der anderen Disziplin zu lernen.

Ardito, C., Baldassarre, M. T., Caivano, D., & Lanzilotti, R. (2016). Integration of human-centred design and agile software development practices: experience report from a SME. Integrating User-Centred Design in Agile Development, 117-135.

Lárusdóttir, M., Cajander, Å., Erlingsdottir, G., Lind, T., & Gulliksen, J. (2016). Challenges from integrating usability activities in scrum: Why is scrum so fashionable?. Integrating User-Centred Design in Agile Development, 225-247.

Zitiervorschlag

Klostermann, Marina, Baudzus, Arn und Brenzke, Martin, 2024: Erfahrungen interdisziplinärer Zusammenarbeit in der KI-Forschung In: Künstliche Intelligenz [online]. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Verfügbar unter: https://www.baua.de/DDE/Forschung/Projektblogs/KI-Blog/Artikel/KI-Interdisziplinaere-Zusammenarbeit

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