Industrie 4.0: Normungs- und Regulierungslandkarte

Aktueller Stand, Entwicklungen und Bedarfe der Regulierung von Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen im Themenfeld Digitalisierung

Aktuelle Strategiepapiere

Zum Thema Digitalisierung wurden von der EU-Kommission, der Bundesregierung, den Vertretern der Sozialpartner und staatlichen Arbeitsschutzbehörden verschiedene Strategiepapiere veröffentlicht. In diesen Strategiepapieren sind Anforderungen an die Regulierung digitaler Produkte, Arbeitsmittel und Arbeitsstätten beschrieben. Abbildung 2 zeigt die zentralen Strategiepapiere zum Thema Digitalisierung, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

Abbildung 2. Regulierungs-Landkarte: Fokus auf Strategiepapiere mit Bezug auf Produkte/Arbeitsmittel und Arbeitsstätten © Marlies Kittelmann, BAuA

Bezogen auf Industrie 4.0 und KI-Anwendungen heben alle Papiere den Bedarf eines geeigneten Rechtsrahmens hervor. Dieser soll konkrete Anforderungen an die Entwicklung und den Einsatz von KI-Systemen stellen und gleichzeitig ausreichende Flexibilität für innovative Produktentwicklungen bieten. Außerdem wird in allen Veröffentlichungen festgehalten, dass für die Ermittlung konkreter Anforderungen umfangreiche Forschung erforderlich ist. Im Bereich Produkt- und Arbeitsmittelsicherheit werden die Risikobeurteilung von Produkten von und mit KI-Anwendungen sowie Anforderungen an die Cybersicherheit von vernetzbaren Produkten und Arbeitsmitteln als Zielstellungen benannt, die bereits in den Forschungsaktivitäten der BAuA verankert sind.

Bezug zu den Entwicklungslinien: Alle vier Entwicklungslinien werden in den aktuellen Strategiepapieren aufgegriffen.

Vorschriften

Abbildung 3. Regulierungs-Landkarte: Fokus auf Vorschriften mit Bezug auf Produkte/Arbeitsmittel und Arbeitsstätten © Marlies Kittelmann, BAuA

EU-Recht

Folgende EU-Richtlinien mit Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen sind für digitale Produkte und Arbeitsmittel von besonderer Bedeutung:

In der europäischen Maschinenrichtlinie 2006/42/EG sind grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen in Form von Schutzzielen für Konstruktion und Bau von Maschinen sowie formale Anforderungen für das Inverkehrbringen durch den Hersteller geregelt.

Die Maschinenrichtlinie wird zurzeit überarbeitet. Dabei wird geprüft, ob Änderungsbedarf im Zusammenhang mit digitalen Technologien und Maschinen besteht. Die BAuA berät das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Rahmen ihrer Mitwirkung in der Machinery Expert Group der EU-Kommission sowie im nationalen Beraterkreis des BMAS zur Maschinenrichtlinie.

Die europäische Maschinenrichtlinie 2006/42/EG wird durch harmonisierte Normen konkretisiert. Die erstellte und fortlaufend zu aktualisierende Normungslandkarte gibt einen Überblick über nationale, europäische und internationale Normungsaktivitäten mit Bezug zur Digitalisierung, wobei insbesondere Aktivitäten im Bereich KI dargestellt werden. In der europäischen Arbeitsmittel-Richtlinie 2009/104/EG sind Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung von Arbeitsmitteln durch Arbeitnehmer bei der Arbeit geregelt.

Nationales Recht

Die europäische Maschinenrichtlinie 2006/42/EG wird durch die Neunte Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz (9. ProdSV) in deutsches Recht umgesetzt.
Das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) selbst regelt allgemeine Anforderungen, um Produkte auf dem Markt bereitzustellen. Gemäß § 3 Absatz 2 dürfen Produkte nur auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn sie bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährden. Die Anforderungen werden durch Normen konkretisiert. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den bereits angesprochenen harmonisierten Normen zur Konkretisierung vorliegender EU-Binnenmarkt-Richtlinien, die Anforderungen an die Bereitstellung und das Inverkehrbringen sicherer Produkte enthalten.

Mit der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) wird die EU-Richtlinie 2009/104/EG in deutsches Recht umgesetzt. Die Betriebssicherheitsverordnung wird durch Technische Regeln für Betriebssicherheit (TRBS) sowie Empfehlungen (EmpfBS) konkretisiert (siehe Abbildung 4). Grundsätzlich sind die vorliegenden TRBS und EmpfBS auch auf die Verwendung digitaler Arbeitsmittel anzuwenden.

Die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) ist die nationale Umsetzung der EU-Richtlinie 89/654/EWG. Sie wurde zuletzt im Jahr 2016 grundlegend überarbeitet. Überlegungen zur Verbesserung der Anwenderfreundlichkeit der ArbStättV führten 2016 auch dazu, alle Anforderungen zur Gestaltung von Arbeitsplätzen mit Bildschirmgeräten beim Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten aus der Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV) in die ArbStättV zu übernehmen. Bei der Übernahme ist auch eine Anpassung des Inhalts der BildscharbV an die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien erfolgt.

Die ArbStättV enthält auch eine rechtliche Klarstellung des Begriffs "Telearbeitsplätze". Gemeint sind damit vom Arbeitgeber fest eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze im Privatbereich der Beschäftigten, für die der Arbeitgeber eine mit den Beschäftigten vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit und die Dauer der Einrichtung festgelegt hat.

Über diese Definition von Telearbeit erfolgt auch eine Abgrenzung zu anderen Formen von Arbeit mit ggf. mobilen Bildschirmgeräten. Hierzu existiert eine Empfehlung des Ausschusses für Arbeitsstätten (ASTA). Mobile Arbeit, z. B. im Zug oder in Cafés ist damit in Abgrenzung zur Telearbeit nicht durch die ArbStättV geregelt. Daher können bislang Anforderungen an die Gestaltung von mobiler Arbeit nur aus den übergeordneten Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) sowie des Arbeitszeitgesetzes (ArbZeitG) abgeleitet werden. Es fehlen jedoch konkrete Anforderungen an die Gestaltung von mobilen Arbeitsplätzen, wie diese für fest installierte Arbeitsplätze existieren.

Bezug zu den Entwicklungslinien: Die Entwicklungslinien Vernetzung, Informationstransparenz und Assistenzsysteme werden aufgegriffen.

Technische Regeln

Abbildung 4. Technischer Arbeitsschutz: Fokus auf Vorschriften mit Bezug auf Produkte/Arbeitsmittel und Arbeitsstätten © Marlies Kittelmann, BAuA

Zur Konkretisierung der Anforderungen der Betriebssicherheitsverordnung bezogen auf die sichere Benutzung von digitalen bzw. vernetzbaren Arbeitsmitteln durch technische Regeln und Empfehlungen gibt es aktuell folgende Aktivitäten:

  • EmpfBS 1115 Umgang mit Risiken durch Angriffe auf die Cyber-Sicherheit von sicherheitsrelevanten MSR-Einrichtungen (liegt vor und soll weiterentwickelt werden)
  • TRBS 3XXX Sicherheitsrelevante MSR-Einrichtungen (in Bearbeitung)
  • TRBS 1151 Gefährdungen an der Schnittstelle Mensch - Arbeitsmittel, Ergonomische und menschliche Faktoren (in Überarbeitung)

Zur Konkretisierung der Anforderungen der Arbeitsstättenverordnung durch technische Regeln und Empfehlungen mit Bezug zum Thema Digitalisierung gibt es aktuell folgende Aktivitäten:

  • ASR A6 Bildschirmarbeitsplätze (in Bearbeitung).

Es ist zu erwarten, dass weitere Aspekte der Digitalisierung stark von den Regelungen zur Bildschirmarbeit beeinflusst werden, zu allererst die Konkretisierung von Anforderungen an Telearbeitsplätze. Auch mobile Arbeit könnte künftig von Regelungen zur Bildschirmarbeit geleitet werden, da häufig für beide Arbeitsformen die gleichen Geräte zum Einsatz kommen. Weitere Aspekte könnten ebenfalls betroffen sein (z. B. maschinelles Lernen durch mögliche Forderungen an die Ergonomie von Software).

Schnittstelle Produktsicherheit/betrieblicher Arbeitsschutz und IT-Sicherheit

Bei der Verwendung von Arbeitsmitteln sind nicht allein Rechtsvorschriften mit Anforderungen an die Produktsicherheit und an die Sicherheit und den Gesundheitsschutz zu berücksichtigen. Wegen zunehmender Bedeutung der Cybersicherheit und möglicher Einflüsse auf die funktionale Sicherheit gibt es darüber hinaus auch Schnittstellen zu Vorschriften aus dem Bereich der IT-Sicherheit. Die aktuell vorliegenden Vorschriften, insbesondere Normen, betrachten diese Schnittstellen nur unzureichend.

Derzeit fehlen einheitliche grundlegende Anforderungen an die Cybersicherheit für vernetzbare Produkte (Hardware und Software). Die Programmgruppe Digitalisierung AfPS/ABS arbeitet derzeit an einem Vorschlag für einen horizontalen Rechtsakt zur Regelung von Anforderungen an die Cybersicherheit im Produktsicherheitsbereich.

Der weitere Regelungsbedarf im Rechtsbereich des betrieblichen Arbeitsschutzes ist noch zu klären. Dabei stellt sich die Frage, ob die erforderliche intensive Abstimmung zwischen allen Wirtschaftsteilnehmern (Komponentenhersteller, Integratoren und Betreiber) im Themenfeld Cybersicherheit ausreichend umsetzbar ist. Aktuell sind die Anforderungen an die Cybersicherheit getrennt voneinander in den Rechtsbereichen Produktsicherheit und Betrieblicher Arbeitsschutz formuliert. Ggf. könnte eine durchgängigere Regelung von Anforderungen an Produkthersteller, Integratoren und Betreiber erforderlich sein.

Bezug zu den Entwicklungslinien: Die Entwicklungslinien Vernetzung, Informationstransparenz und Assistenzsysteme werden aufgegriffen.

Bezüge zu anderen Gruppen von Schwerpunktprogrammen

Digitale Arbeitsmittel sind Voraussetzung für digitalisierte Arbeitsverfahren, deren Einsatz führt jedoch auch zu einer zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitstätigkeiten, z. B. in Form nicht ortsgebundener Tätigkeiten, ständiger Erreichbarkeit über digitale Arbeitsmittel und damit verbundener Entgrenzung der Arbeit durch Vermischung von Berufs- und Privatleben. Es ist erforderlich, diese Aspekte bei der betrieblichen Gefährdungsbeurteilung zu beachten und entsprechende Beurteilungsgrundlagen unter Berücksichtigung aller Elemente des Arbeitssystems bereitzustellen oder zu entwickeln.

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