Im Beobachtungszeitraum 2000 bis 2015 starben jährlich zwischen 36 und 100 Personen an den Folgen von Elektrounfällen (siehe Abbildung 2-1). Verursacht wurden diese in ca. 90 % der Fälle durch Niederspannung und in ca. 10 % der Fälle durch Hochspannung. Niederspannung schließt Wechselspannungen von 50 bis 1 000 Volt und Gleichspannungen von 75 - 1 500 Volt ein. Der Bereich der Hochspannung grenzt an den Bereich der Niederspannung an, d. h., er adressiert Wechselspannungen ab 1 000 Volt (1 kV) und Gleichspannungen ab 1 500 Volt (1,5 kV).
Vorhandene elektrische Gefährdungen können Elektrounfälle verursachen. Diese führen oft zu gesundheitlichen Schädigungen von Menschen und Tieren. Außerdem kann Elektrizität Brände und Explosionen auslösen. In diesem Kapitel werden nur diejenigen elektrischen Gefährdungen betrachtet, die zur Gefährdung von Menschen führen.
Elektrische Gefährdungen durch elektrischen Schlag oder Lichtbogen können bei Anwendung der Elektrizität bei der Arbeit entstehen (z. B. Verwendung von elektrischen Betriebsmitteln) oder bei der Durchführung von nicht elektrischen Arbeiten in der Nähe von unter Spannung stehenden Betriebsmitteln. Wenn ein Lichtbogen infolge eines Defekts oder einer Schalthandlung unerwünscht entsteht, spricht man von einem sog. Störlichtbogen.
Beide Gefährdungen können entweder zugleich oder einzeln auftreten - die Art der Gefährdung bzw. deren Kombination wird durch die Höhe der Spannung bestimmt. Im Bereich der Spannungen bis 1 000 V AC dominiert die Gefährdung des elektrischen Schlags und bei Spannungen über 1 000 V AC die Gefährdung durch den Störlichtbogen. Aufgrund der starken Verkopplung der beiden Einzelgefährdungen "elektrischer Schlag" und "Störlichtbogen" sind die Bewertungskriterien und die anzuwendenden Maßnahmen des Arbeitsschutzes schwer voneinander zu trennen. Deshalb werden diese im Abschnitt 2.1 gemeinsam behandelt.
Weiterhin kann eine elektrische Gefährdung durch statische Elektrizität auch ohne Vorhandensein einer Stromquelle auftreten. Diese entsteht z. B. durch mechanische Trennung und damit Isolation gleichartiger oder verschiedener Stoffe (sog. Ladungstrennung). Neben der Möglichkeit, durch elektrostatische Entladung eine explosionsfähige Atmosphäre zu entzünden, kann diese auch direkte personengefährdende Wirkung durch elektrischen Schlag entfalten oder sekundäre Unfälle durch Schreckreaktionen verursachen. Letztere Zusammenhänge werden in Abschnitt 2.2 beschrieben.
Obwohl diese elektrischen Gefährdungen grundsätzlich nicht neu sind, gibt es aufgrund von Technologiewechseln Branchen, in denen der sichere betriebliche Umgang mit elektrischen Gefährdungen durch ggf. zusätzliche Qualifizierung der Beschäftigten zunächst "erlernt" werden muss.
Neue Anforderungen bei Instandsetzung von elektrisch angetriebenen Kfz
Besonders betroffen sind Beschäftigte im Bereich Kfz-Reparatur und -Instandsetzung durch die Umstellung von klassischer Verbrennungstechnik auf elektrisch angetriebene Fahrzeuge. In den dort vorhandenen elektrischen Antriebssträngen gibt es Komponenten zur Energiespeicherung (z. B. Lithium-Ionen-Akkumulatoren, Brennstoffzellen, Pufferkondensatoren), der Energieübertragung (z. B. Zwischenkreis-Stromschienen, Leistungsleitungen), der Energiewandlung (z. B. Frequenz- und Wechselrichter) sowie der Aktuatorik (z. B. Radnabenmotoren). An allen der hier beispielhaft aufgeführten Antriebssystemkomponenten können Spannungen deutlich oberhalb konventioneller Kfz-Bordnetze (bis 30 V AC/60 V DC) auftreten. Um diesen Gefährdungsbereich abzugrenzen, wurde in der Branche Elektromobilität der sog. Hochvoltbereich eingeführt, welcher Spannungen < 30 V AC bis ≤ 1 000 V AC und > 60 V DC bis ≤ 1 500 V DC umfasst (vgl. DGUV Information 200 005: Qualifizierung für Arbeiten an Fahrzeugen mit Hochvoltsystemen).
Reparatur-, Prüf- und Instandsetzungsarbeiten an solchen Antriebskomponenten dürfen nur von fachkundigen Personen für Arbeiten an Hochvoltsystemen oder von fachkundig unterwiesenen Personen unter Aufsicht und Leitung einer fachkundigen Person für Arbeiten an Hochvoltsystemen durchgeführt werden (vgl. DGUV Regel 109-009: Fahrzeuginstandhaltung, Abschnitt 7.1). Anhand Abbildung 2-2 kann die erforderliche Qualifikation für Arbeiten an Fahrzeugen mit Hochvoltsystemen ermittelt werden.
Im Gegensatz hierzu fallen elektrische Betriebsmittel in Kfz-An- und Aufbaugeräten (z. B. elektrische, drehzahlgeregelte Seilwinden) in den Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie. Elektrotechnische Arbeiten an solchen Komponenten dürfen nach DGUV Vorschrift 3 nur von Personen durchgeführt werden, die aufgrund ihrer fachlichen Ausbildung, Kenntnisse und beruflichen Erfahrungen sowie Kenntnis der einschlägigen Bestimmungen die ihnen übertragenen Arbeiten beurteilen und mögliche Gefahren erkennen können, wie z. B. eine Elektrofachkraft (vgl. DGUV Regel 109-009: Fahrzeuginstandhaltung, Abschnitt 7.1).
Autor
- Dipl.-Ing. Björn Kasper