Körperzwangshaltung

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Art der Gefährdungen und ihre Wirkungen

Die Belastungsart "Körperzwangshaltung" ist gekennzeichnet durch anstrengende Körperhaltungen oft in den Endbereichen der Bewegungsmöglichkeiten des Muskel-Skelett-Systems, die durch den Arbeitsprozess vorgegeben sind und längerdauernd/ununterbrochen (statisch) eingenommen werden. Ausgleichsbewegungen können beim Arbeiten in Körperzwangshaltungen nicht oder nur unzureichend ausgeführt werden. Eine Unterbrechung der Zwangshaltung liegt vor, wenn eine ungünstige Haltung durch eine entspannte Haltung wie aufrechtes Stehen oder variables Sitzen in Verbindung mit entspannt hängenden oder aufgelegten Armen unterbrochen werden kann.

In Bezug auf die Beanspruchung verschiedener Körperregionen können folgende Typen der Körperzwangshaltung unterschieden werden:

  • Vorbeugen des Oberkörpers oder Rückwärtsneigung des Oberkörpers,
  • Halten der Arme in angehobener Stellung, von unterhalb der Schulter bis über Kopf, ggf. auch Halten der Arme vor oder unter dem Körper im Liegen auf dem Rücken oder Bauch,
  • Knien und vergleichbare Haltungen wie Fersensitz, Hocken oder Schneidersitz,
  • dauerhaftes Stehen ohne wirksame Bewegungsmöglichkeit,
  • Sitzen in einer vorgegebenen, dauerhaft fixierten Körperhaltung (erzwungenes Sitzen).

Kombinationen der Rumpfhaltung sowie der Armhaltung mit den Grundtypen der Körperhaltung (Stehen, Knien, Sitzen, Liegen) sind typisch (z. B. Vorbeugen des Oberkörpers beim Knien, Überkopfarbeit mit zurückgeneigtem Rumpf im Stehen usw.).

Die Belastungshöhe pro Arbeitstag hängt bei Körperzwangshaltungen vorrangig von der kumulierten Dauer der statischen Haltungen, also der Gesamtdauer der ununterbrochenen Haltungen am Arbeitstag und dem Typ der Zwangshaltung (z. B. Stehen, Knien, Sitzen) in Verbindung mit dem Haltungswinkel von Oberkörper (z. B. Vorbeugen) und Armen (z. B. Überkopfarbeit) ab. Hinzu kommen ungünstige Ausführungs-bedingungen wie beispielsweise zusätzliche Verdrehung und Seitneigung des Oberkörpers, Neigungen oder Verdrehungen des Kopfes, fehlende Möglichkeiten der Abstützung des Oberkörpers, beengter Bewegungsraum, eingeschränkte Standsicherheit sowie Nässe, Kälte und Zugluft. Wie bei allen anderen Arten körperlicher Belastung ist die zeitliche Verteilung der Belastungen am Arbeitstag von Bedeutung.

Die körperlichen Belastungsarten lassen sich in der Praxis manchmal nicht eindeutig voneinander abgrenzen. Bei der Körperzwangshaltung besteht eine besondere Herausforderung darin, die statischen Haltungen von den dynamischen Bewegungen zu unterscheiden. Die Übergänge sind häufig fließend. Für die Arbeitsanalyse ist eine Zeitdauer festzulegen, während derer eine Haltung ohne Unterbrechung eingenommen werden muss, um als statisch zu gelten. Üblich sind hierfür 4 bis 10 Sekunden. Werden Arbeiten mit den Händen ausgeführt, ist zusätzlich die Belastungsart "Manuelle Arbeitsprozesse" zu betrachten. Falls eine Bewegung im Arbeitsbereich durch Kriechen vorliegt, sollte die Belastungsart "Körperfortbewegung" herangezogen werden.

Die Belastungsart "Körperzwangshaltung" kommt in unterschiedlichen Branchen und Berufen vor. Betroffen sind Beschäftigte mit Tätigkeiten wie beispielsweise

  • Fliesenlegen,
  • Eisenflechten (Betonbau),
  • Arbeiten an Fließbändern,
  • Deckenmontage, Trockenbau, Malerarbeiten, Elektrik,
  • Gurkenernte im Liegen,
  • dauerhafte Arbeit am Mikroskop,
  • Mikrochirurgie,
  • Arbeiten im Inneren von Kesseln, Tanks, Schächten, Schiffsdoppelböden.

Die Belastung durch Körperzwangshaltung führt zur Beanspruchung des gesamten Muskel-Skelett-Systems durch andauernde statische Haltungskräfte der Muskulatur und lokale körperinterne biomechanische Kraft- und Druckbelastungen. Je nach Haltung können dabei gleichzeitig und unabhängig voneinander der obere und untere Rücken, der gesamten Schulter-Arm-Hand-Bereich einschließlich des Nackens und der Hüft-, Knie- und Fußbereich betroffen sein. Die biomechanischen Wirkungen können durch das Halten und Balancieren der Teilmassen des Körpers, aber auch durch zusätzliche äußere Lasten oder durch aktive Kraftaufwendung erzeugt werden. Die physiologischen Grenzen der muskulären Ausdauer zur Krafterzeugung und zur ununterbrochenen Muskeldurchblutung können dabei überschritten werden. Bei der biomechanischen Stabilisierung des Körpers im Gleichgewicht werden neben den unmittelbar betroffenen auch angrenzende, funktionell mit den Körperhaltungen verbundene Strukturen einbezogen und dadurch mit beansprucht.

Körperzwangshaltungen können abhängig von der Belastungshöhe und -dauer durch die muskuläre und biomechanische Beanspruchung des Muskel-Skelett-Systems zu akuten funktionellen Beeinträchtigungen (Ermüdung, Schmerzen, Bewegungseinschränkungen) und langfristig zu chronischen Gesundheitsschädigungen führen.

Beispiele für akute Beeinträchtigungen und chronische Gesundheitsschädigungen:

Extreme Rumpfhaltungen

  • akute Überlastungen der Muskeln und Bänder mit der Folge von Rückenbeschwerden und unspezifischen Schmerzen im Bereich des unteren Rückens
  • chronische Rückenschmerzen mit Bewegungseinschränkungen
  • degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (insbesondere der Lendenwirbelsäule und Halswirbelsäule)

Arbeiten in/über Schulterniveau

  • Überlastungen der Muskeln sowie der Gelenk- und Bandstrukturen (Schmerzen, Beschwerden, Funktionseinschränkungen) im Bereich der Schultern, der Arme, des Nackens und oberen Rückens, Kopfschmerzen
  • Schmerzsyndrome im Bereich des Nackens mit Ausstrahlung in die Schulter durch chronische Funktionsstörungen und bei degenerativen Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule sowie durch chronische Funktionsstörungen der Schulter-Nacken-Muskulatur
  • degenerative Erkrankungen der Schulter: Rotatorenmanschettensyndrom (Schleimbeutelentzündung im Schultergelenk und Sehnenentzündung der Muskulatur), Impingementsyndrom (Einklemmung von Schleimbeutel und Sehne)

Knien, Hocken, Schneidersitz

  • Überlastungen der Muskel- und Bandstrukturen in den Knien mit Funktionsstörungen der Kniegelenke sowie Reizungen und (chronifizierte) Entzündungen der Schleimbeutel
  • Arthrosen der Kniegelenke (Zerstörung der Knorpelschicht und damit einhergehende Knochenveränderungen)
  • Meniskusschäden der Kniegelenke
  • Varikosis der Beinvenen

Ständiges Stehen

  • Schweregefühl in den Beinen
  • Varikosis der Beinvenen

Dauerhaftes Sitzen in fixierter Rumpfhaltung

  • statische Belastung der Rücken- und Nackenmuskulatur mit der Folge von unspezifischen Beschwerden

Lokale mechanische Druckeinwirkungen

  • akute Entzündungen lokaler gelenknaher Schleimbeutel (z. B. Bursitis präpatellaris – Entzündung des Schleimbeutels vor der Kniescheibe)
  • Nervenkompressionssyndrome (z. B. das Sulcus-ulnaris-Syndrom im Bereich des Ellenbogens)
  • lokale Hautveränderungen (Keratosen)

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