Sturz, Ausrutschen, Stolpern, Umknicken

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Ermittlung und Beurteilung

Prüfungsverfahren und Grenzwerte für Rutschgefährdungen

Prüfverfahren für neue Fußböden

Die Prüfung der Rutschhemmung von neu zu verlegenden Fußböden kann nach dem labormäßigen Prüfverfahren auf der schiefen Ebene durchgeführt werden – für Arbeitsbereiche nach ASR A1.5 in Verbindung mit DIN EN 16165 Anhang B und für nassbelastete Barfußbereiche nach DGUV Information 207-006 in Verbindung mit DIN EN 16165 Anhang A. Bewertungskriterien sind der Neigungswinkel bzw. der Winkel des Ausrutschens, bei dem die Grenze des sicheren Gehens erreicht ist und die Prüfperson gerade beginnt zu rutschen, und die Volumina der Hohlräume des Fußbodenprofils (Verdrängungsräume). Bestimmte Winkelbereiche und Volumina des Verdrängungsraums werden Bewertungsgruppen der Rutschhemmung R 9 bis R 13 beziehungsweise A bis C (Tabelle 1.5-1 und Tabelle 1.5-3) beziehungsweise Bewertungsgruppen des Verdrängungsraums V 4 bis V 10 (Tabelle 1.5-2) zugeordnet.

R- und V-Wert

In Abhängigkeit von Arbeitsbereich und Tätigkeit kann aus dem Anhang 2 der ASR A1.5 der erforderliche R- und V-Wert entnommen werden. Zum Beispiel gelten für Außentreppen allgemein R10/V4 beziehungsweise R11.

Geprüfte Bodenbeläge – Positivliste

Bei Kenntnis des notwendigen R- und V-Wertes kann ein geeigneter Fußboden mit Hilfe von Herstellerangaben oder aus der Positivliste – Geprüfte Bodenbeläge – [1] ausgewählt werden (für nassbelastete Barfußbereiche entsprechend – Liste NB [2]). Häufige Ursache für Treppenstürze ist die unzureichende Rutschsicherheit von Treppenstufen, insbesondere der Stufenkanten. Die ASR A1.5 kann neben Fußböden auch für Treppenstufen angewendet werden. Für die Bestimmung der Rutschhemmung von Stufenkanten gibt es kein anerkanntes Prüfverfahren.

Bewertung der Rutschhemmung von Fußböden nach ASR A1.5

Tabelle 1.5-1 Zuordnung des Winkels des Ausrutschens zu den Bewertungsgruppen der Rutschhemmung
Bewertungsgruppe Winkel des Ausrutschens
R 9von 6° bis 10°
R 10mehr als 10° bis 19
R 11mehr als 19° bis 27°
R 12mehr als 27° bis 35°
R 13mehr als 35°
Tabelle 1.5-2 Zuordnung der Mindestvolumina zu den Bewertungsgruppen des Verdrängungsraumes
Bewertungsgruppe des Verdrängungsraums Mindestvolumen des Verdrängungsraums (cm3/dm2)
V 44
V 66
V 88
V 1010

Bewertung der Rutschhemmung von Bodenbelägen in nassbelasteten Barfußbereichen nach DGUV-Information 207-00

Tabelle 1.5-3 Zuordnung der Winkel des Ausrutschens zu den Bewertungsgruppen der Rutschhemmung
Bewertungsgruppe Mindestneigungswinkel Bereiche
A12 °
  • Barfußgänge
  • Einzel- und Sammelumkleideräume
B18 °
  • Duschräume
  • Bereich von Desinfektions­sprühanlagen
  • Beckenumgänge
  • Beckenböden in Nichtschwimmer­bereichen (auch von Wellenbecken)
  • Hubböden
  • Planschbecken
  • ins Wasser führende Leitern
  • ins Wasser führende, max. 1,0 m breite Treppen mit beidseitigen Handläufen
  • Leitern und Treppen außerhalb des Becken­bereichs
C24 °
  • ins Wasser führende Treppen, soweit sie nicht B zugeordnet sind
  • Durchschreitebecken
  • Geneigte Beckenrandausbildung

Prüfung vorhandener Fußböden

Vorhandene Fußböden können mittels mobiler Prüfgeräte vor Ort geprüft werden. Zurzeit gibt es ein Prüfverfahren für nichtprofilierte und für textile Bodenbeläge (DIN EN 16165 Anhang D), sowie ein Prüfverfahren für Sportböden (DIN V 18032-2). Für die Gleitreibungsmessung von Fußböden vor Ort haben sich Tribometer-Prüfgeräte bewährt. Gegenwärtig kommen in Deutschland vor allem folgende motorbetriebene Geräte zum Einsatz:

  • FSC 3 und
  • GMG 100/200

Die Prüfgeräte ermitteln präzise Messwerte über die Gleitreibung von Bodenbelägen nach DIN EN 16165 Anhang D und simulieren ein natürliches Begehen des Bodenbelages. Die Tribometer sind mit Gleitern ausgerüstet und werden parallel zur Oberfläche eines Bodenbelags mit konstanter Geschwindigkeit gezogen. Die hierfür erforderliche Kraft wird über die Länge der Messstrecke ermittelt. Zur Ermittlung des Gleitreibungskoeffizienten wird diese Kraft durch die vertikal wirkende Kraft dividiert. Die Prüfung kann auf trockenen, nassen Bodenoberflächen oder auf Bodenoberflächen mit definiertem Gleitmittel sowie im Betriebszustand durchgeführt werden.

Zu ermitteln ist der Gleitreibwert µ:

µ = FR / FN

FR - Reibkraft
FN - Normalkraft (Last)

Die mit Hilfe von Tribometern erzielten Reibwerte können nach den Kennwerten in Tabelle 1.5-4 bewertet werden. Dabei wird das ‚Bodensystem‘ bewertet, das auch die Gleiter/Schuhe, die Verschmutzung bzw. auftretenden gleitfördernden Stoffe und die Umgebungsbedingungen mit bewertet. Der SBR-Gleiter entspricht einem durchschnittlich schlechten Schuh, so dass bei ausreichender Rutschhemmung mit dem SBR-Gleiter und den typischen Betriebsbedingungen davon ausgegangen werden kann, dass der Boden auch eine ausreichende Rutschhemmung aufweist.

Zu hohe Reibwerte (zum Beispiel µ > 0,6 bei Sportböden nach Vornorm DIN V 18032-2) können unter bestimmten Bedingungen (häufige Drehbewegungen des Fußes, Abbremsen schneller Bewegungen) zu einer zu hohen Belastung des Stütz- und Bewegungsapparats führen.

Tabelle 1.5-4 Bewertung der Gleitreibung des Bodensystems nach DGUV Information 208-041
ReibwertBewertung
µ ≥ 0,45Rutschhemmung vorhanden1, Bodensystem uneingeschränkt betriebstauglich

µ ≥ 0,30

µ < 0,45

Rutschhemmung vorhanden unter Beachtung der Betriebsbedingungen

2

Bodensystem betriebstauglich, evtl. risikoorientierte Maßnahmen erforderlich

3

µ < 0,30Rutschhemmung nicht vorhanden, Bodensystem kritisch, besondere Maßnahmen erforderlich

1 Bei hohen Reibwerten, z. B. µ > 0,8, kann ein erhöhtes Stolperrisiko oder eine Gefährdung der Gesundheit durch extreme biomechanische Belastung des Stütz- und Bewegungssystems (z. B. der Kniegelenke) bestehen. Zwischen benachbarten Bodenbelägen bzw. Belagstellen mit unterschiedlichem Oberflächenzustand (z. B. trocken/nass) sollte die Reibwertdifferenz Δ µ ≤ 0,2 sein.

2 z. B. zeitweiliges Aufkommen von gleitfördernden Stoffen, Reinigungsmitteln

3 z. B. Nässebindung mit textilen Läufern, Reinigung

Beurteilungskriterien für Sturzgefährdungen durch Stolpern, Umknicken, Fehltreten

Unebenheiten, Stolperkanten und Bewegungshindernisse

Die Sturzgefährdungen können in erster Linie nach dem Grad der Unebenheit beziehungsweise nach dem Vorhandensein von Bewegungshindernissen beurteilt werden.

Für den Bau von Fußböden werden in der Norm DIN 18202 Toleranzen für Unebenheiten angegeben. Für einzelne bautypische Bodenbeläge existieren weitere DIN-Normen (Abschnitt "Vorschriften, Regelwerk, Literatur"). Als häufigste zulässige Höhendifferenz auf 0,1 m Länge werden 2 mm angegeben. Diese Höhendifferenz ist eher als bautechnische Qualitätsforderung, weniger als untere Grenze für unzulässige Stolper- oder Umknickkanten anzusehen.

Stolperkanten und Bewegungshindernisse können nach der technischen Regel für Arbeitsstätten ASR A1.5 Fußböden (und nach [4]) entstehen Stolperstellen bei Erhöhungen, dem Übergang zu Schrägen, bei Vertiefungen und durch Fußangeln auftreten (siehe Abb. 1.5-1).

Dabei gelten Erhöhungen/Vertiefungen ab 4 mm, beginnende Schrägen ab 25% (entsprechen einem Winkel von 14°), Spalten ab einer Breite von 20 mm und Öffnungen in Rosten mit einer Maschenteilung von mehr als 35 mm x 51 mm als Stolperstellen. Auf Treppen können Unterschneidungen und Stufenkantenprofile Stolperstellen darstellen. Eine Stolperstelle kann auch temporär auftreten, z. B. aufgrund einer Durchbiegung an der Verbindungsstelle verschiedener Fußböden.


Abbildung 1.5-1 Stolperstellen und Bewegungshindernisse

Gefahrstellen, wie gelöste, hochstehende Belagränder, herumliegende Fußangeln z. B. durch Versorgungsleitungen und, sind bei jeder Höhe gefährlich und sollten in jedem Fall beseitigt werden.

Neben den baulichen Unebenheiten und Stolperstellen gibt es weitere temporäre Bewegungshindernisse insbesondere durch herumliegende Gegenstände, Ware, Abfälle, usw.

Tritt- und Standflächen

Zu geringe Tritt- und Standflächen, die zum Fehltreten führen können, sind dann vorhanden, wenn die für Treppenstufen und Stufenpodeste empfohlenen Mindestabmessungen (ASR A1.8, DGUV Information 208-005, DIN 18065) nicht eingehalten werden. Podestartige Arbeitsflächen sollten eine Bewegungsfläche von mindestens 1,5 m2 bei einer Länge von mindestens 1 m haben.

Ergänzende Beurteilung der Sturzgefährdungen

Eine ergänzende Beurteilung kann unter Beachtung der Umfeld- und Einsatzbedingungen nach Tabelle 1.5-5 durchgeführt werden.

Tabelle 1.5-5 Ergänzende Beurteilung der Sturzgefährdungen
Umfeld- und Einsatzbe-
dingungen
KriterienVorschriften/ Regeln
Schuhwerk

Bereitstellung und Tragen geeigneter Sicherheits-, Schutz-, und Berufsschuhe:

  • rutschhemmende Eigenschaften der Sicherheits-, Schutz-, und Berufsschuhe (Sohlenwerkstoff, Profil) (siehe "Arbeitsschutzmaßnahmen")
  • Verschleißzustand der Schuhe
  • Trageeigenschaften der Schuhe
DGUV Regel 112-190
DIN EN ISO 13287
DIN EN ISO 20345
DIN EN ISO 20346
DIN EN ISO 20347
Erkennbarkeit von Gefährdungen

Erkennbarkeit möglicher Sturzgefährdungen auf Trittflächen:

  • ausreichende Beleuchtung, Kontrast, farbliche Kennzeichnung
  • Vermeidung von Wahrnehmungstäuschungen (fehlende Übergänge)
  • Hinweise (Schilder, Piktogramme)
  • Unterweisungen
ASR A1.3
ASR A3.4
DIN EN 12464-1
DIN EN 12464-2
Erschwerende Bedingungen

Erhöhte Anforderungen durch erschwerende Bedingungen:

  • beim Gehen mit getragener Last, Ziehen/ Schieben von Last (Sichteinschränkungen, Schwerpunktverlagerung des Körpers…)
  • Neigung/Steigung des Fußbodens
  • Kurven und sonstige Änderungen der Bewegungsrichtung
  • schnelles, hektisches Gehen
  • Kombination von o.g. Bedingungen

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