Ersticken, Ertrinken

Diesen Inhalt als PDF herunterladen

Ermittlung und Beurteilung

Eine Gefährdung zu ersticken bzw. zu ertrinken besteht, wenn Arbeitsbedingungen wie in Abschnitt 7.3.2 "Art der Gefährdungen und deren Wirkungen" und im Folgenden beschrieben vorliegen.

Die Methodik zur Beurteilung des Risikos, zu ersticken bzw. zu ertrinken, hängt von den Arbeitsbedingungen der jeweiligen Gefährdungen ab. In vielen Fällen geht dem Ersticken bzw. Ertrinken eine andere wirksam gewordene Gefährdung voraus, die bei der Risikobeurteilung zu berücksichtigen ist.

Ersticken

Verschüttung unter Erdmassen, Streugut oder Schnee

Das Risiko, infolge von Verschüttung unter Erdmassen, Streugut oder Schnee zu ersticken, ist nach Abschnitt Unkontrolliert bewegte Teile (Mechanische Gefährdungen) zu beurteilen.

Einatmen oder Verschlucken von Fremdkörpern mit Blockierung der Atemwege

Für die Beurteilung des Risikos, in Folge des Einatmens oder Verschluckens von Fremdkörpern durch Blockierung der Atemwege zu ersticken, liegt keine spezifische Methodik vor. Sie sollte unter Einbeziehung arbeitsmedizinischer Expertise erfolgen.

Mangelnde Sauerstoffkonzentration in Höhenlagen

Das Risiko, in Höhen über 3 000 Meter über Normalhöhennull (NHN) aufgrund mangelnder Sauerstoffkonzentration zu ersticken, ist nach Abschnitt "Unter- oder Überdruck" (Gefährdungen durch physikalische Einwirkungen) zu beurteilen.

Mangelnde Sauerstoffkonzentration in engen Räumen

Für die Beurteilung des Risikos, in engen Räumen aufgrund mangelnder Sauerstoffkonzentration zu ersticken, stehen eine Reihe Technischer Regeln und Informationen zur Verfügung:

  • Die Technische Regel für Arbeitsstätten ASR A3.6 definiert in Abschnitt 4.1, dass in umschlossenen Arbeitsräumen eine "gesundheitlich zuträgliche Atemluft in ausreichender Menge vorhanden sein muss". In der Regel entspricht dies der Außenluftqualität. Bei Bauarbeiten in abwassertechnischen Anlagen, unter Tage oder in engen Räumen ist ein Sauerstoffgehalt von mindestens 19 Vol.-% sicherzustellen (ASR A3.6, 7 (2)).
  • Nach DGUV Regel 101-604, Abschnitte 3.7.4 und 3.8.1 muss an jeder Arbeitsstelle ein Sauerstoffgehalt von mehr als 19 Vol.-% vorhanden sein. Arbeiten in Arbeitsumgebungen mit begrenzter natürlicher Belüftung, z. B. in tieferen Schächten oder unter Tage, sind nur mit einer Überwachung durch ein Sauerstoffmessgerät zulässig.
  • Bei Arbeiten in umschlossenen Räumen abwassertechnischer Anlagen stellt die DGUV Regel 103-003 insbesondere in Abschnitt 4.2 Anforderungen auf, deren Einhaltung eine hinreichende Risikobeherrschung angeben.
  • Für Rohrleitungsbauarbeiten gibt die DGUV Information 201-052 insbesondere in Abschnitt 5.4 Anforderungen zur Risikobeherrschung an.
  • Für Arbeiten in Behältern, Silos und engen Räumen enthält DGUV Regel 113-004 insbesondere in Abschnitt 4.4 Anforderungen zur Beherrschung des Risikos zu ersticken. Danach handelt es sich um gefährliche Arbeiten nach § 8 DGUV Vorschrift 1 und § 22 Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG).

Werden die für den jeweiligen Anwendungsfall zutreffenden qualitativen Anforderungen in den Technischen Regeln

  • vollständig und zuverlässig eingehalten, kann von einem geringen Restrisiko im Akzeptanzbereich ausgegangen werden. Weitere Risikoreduzierung ist aber ggf. möglich und anzustreben.
  • weitgehend vollständig, aber nicht hinreichend zuverlässig eingehalten, besteht ein Risiko im Besorgnisbereich, der Maßnahmen insbesondere des aktiven Risikomanagements erfordert, um sicherzustellen, dass das noch tolerierbare Risiko zuverlässig eingehalten und möglichst weit unterschritten bleibt.
  • nicht oder unzureichend eingehalten, besteht Gefahr (nicht tolerierbares Risiko). Maßnahmen der Risikoreduzierung sind erforderlich.

Die Betriebsärztin/der Betriebsarzt ist bei Bedarf bei der Risikobeurteilung hinzuzuziehen.

Sauerstoffverdrängung durch Gase

Das grundsätzliche Risikopotenzial kann durch eine erste Worst-Case-Betrachtung erfolgen, indem man die verbleibende Sauerstoffkonzentration ermittelt, wenn sich alle vorhandenen sauerstoffverdrängenden Gase im Raum ausgebreitet haben. Befinden sich beispielsweise in einem 20 m³ großen Raum zwei Liter Flüssigstickstoff, könnte dieser bei einer Havarie ca. 1,6 m3 Raumluft verdrängen; der durchschnittliche Sauerstoffgehalt würde um weniger als 10 % sinken; das wäre unbedenklich. Da kalter Stickstoff schwerer ist als Luft bei Raumtemperatur, würde er bei geringer Luftbewegung aber eine bis zu 50 cm hohe Stickstoffgasschicht am Boden bilden, die fast keinen Sauerstoff enthält und damit schon beim Bücken ein sehr hohes Erstickungsrisiko bedeuten.

DGUV Regel 113-004 enthält in Abschnitt 4.3 Anforderungen, die zur Risikobeurteilung herangezogen werden können.

Tätigkeiten in Räumen mit reduzierter Sauerstoffkonzentration

DGUV Information 205-006 legt Risikobereiche nach Sauerstoffkonzentration O2 in der Luft fest:

  • Risikoklasse 0: > 17 Vol.-%: unbedenklich
  • Risikoklasse 1: < 17 und > 15 Vol.-%: Leistungseinschränkungen
  • Risikoklasse 2: < 15 und > 13 Vol.-%: gesundheitsschädlich
  • Risikoklasse 3: < 13 Vol.-%: Bewusstlosigkeit, irreversible Schäden, Tod

Bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen sind die lokalen Gegebenheiten (z. B. Höhenlage, Wetter-/Luftdruckbedingungen), zusätzliche chemische, biologische oder physikalische Einwirkungen (wie Kälte) sowie der Schweregrad der zu verrichtenden körperlichen Arbeit und die psychomentalen Belastungen mit zu berücksichtigen. Ab einer Höhe von 700 m über NHN ist der Einfluss der Höhe über Meer mit zu berück-sichtigen. Zur arbeitsmedizinischen Risikoklassifikation sind die reale Höhe und die Äquivalenzhöhe, die die Anlage produzieren, zu addieren. Die baulichen, technischen, organisatorischen und arbeitsmedizinischen Maßnahmen sind in der Gefährdungsbeurteilung (dem betriebsspezifischen Sicherheitskonzept) zu dokumentieren (DGUV Information 205-006).

Gefährdungen durch Kohlendioxid (CO2)

Für Kohlendioxid besteht ein Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) von 5 000 ml/m³ (ppm), was 0,5 Vol.-% entspricht. Als resorptiv wirksamer Stoff gilt für Kurzzeitwerte (15-Minuten-Mittelwert) ein Überschreitungsfaktor von 2; dies entspricht einem Mittelwert von 1 Vol.-% (TRGS 900).

Kohlendioxid kommt mit einer Konzentration von etwa 0,035 Vol.-% in der Atmosphäre vor. In der Ausatemluft des Menschen beträgt die Konzentration ca. 4 Vol.-%. Steigt der Gehalt in der Einatemluft über 4 Vol.-%, kommt es zu einer Anreicherung von Kohlendioxid im Blut, da kein Austausch gegen Sauerstoff mehr stattfindet (vgl. Tabelle 7.3-2).

DGUV Regel 110-007 und ASI 6.80, Anhang 1 enthalten Verfahren zur worst-case-Berechung der Kohlendioxid- bzw. Stickstoff-Konzentration bei Austritt des gesamten Flascheninhalts in Abhängigkeit vom Raumvolumen.

Tab. 7.3-2 Gefährdung und Auswirkung bei zunehmender CO2-Einwirkung gem. ASI 6.80, Abschnitt 2.2
CO2-Anteil in der AtemluftGefährdung und Auswirkung bei zunehmender Kohlenstoffdioxid-Einwirkung
0,5 - 1 Vol.-%bei nur kurzzeitiger Einatmung generell noch keine besonderen Beeinträchtigungen der Körperfunktionen
2 - 3 Vol.-%zunehmende Reizung des Atemzentrums mit Aktivierung der Atmung und Erhöhung der Pulsfrequenz.
4 - 7 Vol.-%Verstärkung der vorgenannten Beschwerden; zusätzlich Durchblutungsprobleme im Gehirn, Aufkommen von Schwindelgefühl, Brechreiz und Ohrensausen
8 - 10 Vol.-%Verstärkung der vorgenannten Beschwerden bis zu Krämpfen und Bewusstlosigkeit mit kurzfristig folgendem Tod
10 Vol.-%Tod tritt kurzfristig ein

Blockierung der Atmung durch giftige Gase und Dämpfe

Angaben zur Risikobeurteilung enthält der Abschnitt "Gefahrstoffe".

TRGS 900 gibt die Arbeitsplatzgrenzwerte an, z. B.

  • 50 ppm für Dichlormethan
  • 30 ppm für Kohlenmonoxid
  • 5 ppm für Schwefelwasserstoff
  • 0,9 ppm für Cyanwasserstoff

Ertrinken

Mit erhöhten Risiken des Ertrinkens ist zu rechnen bei

  • den in DGUV Regel 112-201, Anhang 2 aufgeführten Einsatzgebieten,
  • seemänischem Überstieg von Wasserfahrzeugen auf Anlagen oder andere Wasserfahrzeuge und umgekehrt (vgl. DGUV Information 203-007, insbesondere Abschnitt C 2.2).

Besonders gefährliche Arbeiten im Sinne der Baustellenverordnung (Anhang II) und RAB 10 sind:

  • Tätigkeiten an, auf oder über Flüssigkeit, insbesondere Wasser, in einem Abstand von weniger als 2 m von der Absturzkante ohne technische Schutzmaßnahmen, da dann eine unmittelbare Gefahr des Ertrinkens im Sinne der BaustellV besteht
  • Brunnenbauarbeiten, also Arbeiten zur Errichtung, Änderung, Instandhaltung oder Instandsetzung von Brunnen jeder Art, bei denen die Gefahr des Hineinfallens, des Verschüttetwerdens, des Ertrinkens, des Vergiftetwerdens oder eine Verpuffungs-gefahr aufgrund eines explosiven Gas-Luft-Gemisches besteht
  • Arbeiten mit Tauchgeräten in flüssigen Medien, bei denen die Taucher über Tauchgeräte mit Atemgas versorgt werden. Dabei befinden sich die Taucher in lebensfeindlicher Umgebung. Der Ausfall der Atemgasversorgung bedeutet akute Lebensgefahr für den Taucher. Daher dürfen derartige Arbeiten nur unter besonderen Schutzmaßnahmen durchgeführt werden (vgl. DGUV Vorschrift 40 "Taucharbeiten").

Absturzhöhe

In Abhängigkeit von der jeweiligen Absturzhöhe muss bei der Beurteilung des Risikos bedacht werden, dass der Verunfallte beim Aufprall auf der Wasseroberfläche verletzt wird oder bewusstlos werden kann.

Schwimmfähigkeiten

Beim Sturz in fließende oder kalte Gewässer sowie auf hoher See sind Schwimmfähigkeiten des Verunfallten kein Beurteilungskriterium, da auch ein geübter Schwimmer schnell unterkühlt und schon nach wenigen Minuten nicht mehr handlungsfähig sein kann.

Die Schwimmfähigkeit kann auch durch weitere Ausrüstung (z. B. Atemschutzgeräte, schwere Schutzausrüstung) beeinträchtigt sein. Die Schutzwirkung von Schwimmwesten kann durch Funktionsstörung oder Beschädigung ausfallen (vgl. DGUV Regel 112-201, Abschnitt 3.1.2.3).

Unterkühlung

Da Wasser eine höhere Wärmeleitfähigkeit als Luft hat, kommt es bei Stürzen in Gewässer häufig zu einer schnellen Auskühlung des Verunfallten. Eine Faustformel spricht von etwa einer Minute Handlungsfähigkeit pro Grad Wassertemperatur über null. Ab etwa 26 °C ist kaum mehr von einer Unterkühlung auszugehen. Bei Wassertemperaturen um den Gefrierpunkt muss damit gerechnet werden, dass der Verunfallte innerhalb weniger Minuten bewusstlos wird.

Flüssigkeiten mit geringem Auftrieb

Bei Arbeiten in Kläranlagen muss der mangelnde Auftrieb in Belüftungs- und Belebungsbecken berücksichtigt werden. Durch eingeblasene Luft wird die Dichte des Wassers herabgesetzt. Stürzt ein Mensch in das Becken, sinkt er sofort zu Boden. Schwimmwesten sind in der Regel wirkungslos. Infolge des eingeatmeten stark verschmutzten Abwassers verlaufen derartige Unfälle in der Regel tödlich.

Weitere gefahrbringende Bedingungen

Es können auch mehrere Gefährdungen kombiniert auftreten. Bei der Gefährdungsermittlung ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Abgestürzte nicht aktiv zu seiner Rettung beitragen kann.
Zum möglichen Sturz in eine Flüssigkeit können auch weitere gefahrbringende Bedingungen am jeweiligen Arbeitsplatz beitragen und sind deshalb in die Gefährdungsermittlung mit einzubeziehen, z. B „(vgl. u.a. DGUV Regel 112-201, Abschnitt 3.1.2.2.):

  • unzureichende oder fehlende Absturzsicherungen
  • Stürzen oder Stolpern
  • Ausrutschen auf Verunreinigungen oder Eis
  • austretende Flüssigkeiten oder Gase
  • mechanische Einwirkungen, z. B. getroffen werden von bewegten Gegenständen
  • optische Einwirkungen, Blendung, Spiegelungen, unzureichende Beleuchtung
  • chemische Einwirkungen
  • thermische Einwirkungen
  • Hitze, hohe Sonneneinstrahlung, Wind
  • schwere dynamische Arbeit mit Ermüdungspotenzial
  • Ablenkung
  • Zeitdruck

Wechselwirkungen

Die am Arbeitsplatz vorhandenen Gefährdungen können auch direkten Einfluss auf die Schutzwirkung der persönlichen Schutzausrüstungen gegen Ertrinken haben, z. B. durch mechanische Einwirkungen (Stiche oder Stöße) oder thermische Einflüsse (Schweißperlen bei Schweißarbeiten). Hier sind ggf. zusätzliche Schutzmaßnahmen, z. B. das Anbringen spezieller Schutzhüllen, vorzusehen.

nach oben